Die Hofnärrin
die
Ungebundenheit wäre eine Krankheit, die sie sich einfangen könnten,
wenn sie mir zu nahe kämen. Jede Nacht streckte ich mich im Bett aus
wie ein Seestern, Hände und Füße in alle vier Ecken gereckt und den
Platz auskostend, und dankte Gott, dass ich nun wieder eine freie Frau
war, die ein Bett ganz für sich allein hatte. Jeden Morgen erwachte ich
mit Frohlocken, dass ich mich nicht mehr den Regeln eines anderen
unterwerfen musste. Ich konnte nun unter dem Saum meines langen Kleides
Stiefel tragen, ich konnte Drucktypen setzen, ich konnte im Backhaus
unser Frühstück besorgen, ich konnte zum Abendessen mit meinem Vater
ins Wirtshaus gehen, ich konnte tun, was mir beliebte – und
nicht das, was eine junge Frau zu tun hatte, die vor den Augen einer
kritischen Schwiegermutter bestehen musste.
Bis Mitte des zweiten Monats bekam ich Daniel nicht zu
Gesicht, und dann rannte ich eines Morgens nach dem Kirchgang
buchstäblich in ihn hinein. In der Kirche musste ich nun hinten sitzen:
Als Ehefrau, die ihren Mann verlassen hatte, befand ich mich im Zustand
der Sünde, die nur durch vollständiges Bereuen meiner Taten und
Rückkehr zu meinem Ehemann aufgehoben werden konnte – falls
dieser so freundlich wäre, mich noch zu nehmen. Der Priester
höchstselbst hatte mir gesagt, ich sei so schlecht wie eine
Ehebrecherin, nein, schlimmer noch, da ich durch meine eigenen Taten
und nicht durch das Drängen eines Verführers in den Zustand der Sünde
geraten war. Der Gottesdiener gab mir eine Reihe Bußen auf, mit denen
ich bis nächste Weihnachten zu tun haben würde. Ich war mehr denn je
entschlossen, fromm zu erscheinen, und verbrachte daher viele Abende in
der Kirche auf den Knien und ging regelmäßig zur Messe, den Kopf mit
einem schwarzen Schal bedeckt und sittsam im Hintergrund sitzend. So
kam es, dass ich aus der Dunkelheit der ärmlichen Hinterbänke ins Licht
des Kirchenportals stolperte und halb blind in Daniel Carpenter
hineinlief.
»Hannah!«, rief er und streckte eine Hand aus, um mich zu
halten.
»Oh, Daniel.«
Einen Augenblick standen wir sehr nah beieinander. Unsere
Blicke trafen sich. Ich spürte eine Welle des Verlangens und wusste,
dass ich ihn begehrte und er mich. Dann jedoch trat ich beiseite,
schlug die Augen nieder und murmelte: »Wenn du mich entschuldigen
würdest …«
»Nein, warte«, sagte er gepresst. »Geht es dir gut? Geht es
deinem Vater gut?«
Ich hätte fast gekichert. Natürlich kannte er die Antwort auf
beide Fragen. Durch Spione wie seine Mutter und seine Schwestern wusste
er sicher ganz genau, welche Seiten wir gerade druckten oder was es
gestern Abend bei uns zu essen gegeben hatte.
»Es geht uns gut«, erwiderte ich. »Danke.«
»Ich habe dich schmerzlich vermisst«, bekannte er, bemüht,
mich festzuhalten. »Ich wollte schon so lange mit dir sprechen.«
»Es tut mir leid«, sagte ich kalt. »Aber ich habe dir nichts
zu sagen, Daniel, und wenn du mich jetzt bitte entschuldigen
würdest …«
Ich wollte fort, bevor er mich in ein Gespräch verwickelte,
bevor ich wieder Zorn, Trauer oder Eifersucht fühlte. Ich wollte
keinerlei Gefühl für ihn empfinden, kein Verlangen, keinen Groll. Ich
wollte kalt sein, also machte ich auf dem Absatz kehrt und wollte mich
auf den Heimweg machen.
Mit zwei langen Schritten war er bei mir, legte mir die Hand
auf den Arm. »Hannah, wir können nicht so getrennt voneinander leben.
Das ist falsch.«
»Daniel, wir hätten niemals heiraten sollen. Das war der
Fehler, nicht unsere Trennung. Nun lass mich gehen.«
Er ließ die Hand sinken, hielt jedoch meinen Blick fest. »Ich
komme heute Nachmittag in euer Geschäft«, sagte er entschlossen. »Und
wir werden allein miteinander reden. Solltest du ausgehen, werde ich
auf dich warten. Ich lasse dies nicht so stehen, Hannah. Ich habe ein
Recht, mit dir zu sprechen.«
Aus dem Kirchenportal strömten Menschen, während andere auf
Zutritt warteten. Ich wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen, da
ich doch bereits als die abtrünnige Ehefrau von Calais bekannt war.
»Um zwei Uhr also«, willigte ich ein, machte ihm einen Knicks
und schlug den Weg zum Tor ein. Auf dem Pflaster des Kirchweges kamen
mir Daniels Mutter und Schwestern entgegen, und sie zogen ihre Röcke an
sich, als fürchteten sie, sich durch die Berührung mit mir zu besudeln.
Ich lächelte ihnen zu, kostete meinen Ruf der Unverschämtheit voll aus.
»Guten Morgen, Misses Carpenter«, sagte ich fröhlich. »Guten Morgen,
Mrs.
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