Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
an der Eingangstür, der die Glücklichen darauf nach draußen ließ und hinter ihnen die Tür abschloss. Auf dasselbe stumme Kommando hängten sich»Dalí« und »Chagall« die Waffen über die Schulter und fesselten die zitternden Hände der restlichen Geiseln. Jarry ging auf und ab und beaufsichtigte seine Kumpanen. Sein Lächeln war natürlich nur aufs Latex gemalt, doch seiner Stimme nach zu urteilen grinste er auch unter der Maske. Von seinem Gesicht sah Michelle nur die Augen, aber die funkelten vor Spaß über seinen Streich oder vielleicht vor fröhlichem, blankem Wahnsinn.
»Vielen Dank, meine Damen und Herren, Sie sind wirklich hinreißend. Wir möchten Sie an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir nicht vorhaben, einem von Ihnen etwas anzutun, und dass Sie persönlich keinen finanziellen Schaden wegen der heutigen Geschehnisse zu befürchten haben. Es gibt also keinen Grund, spontan den Helden zu spielen. Selbst wenn Sie es schaffen sollten, uns fünf zu überwältigen, was natürlich höchst unwahrscheinlich ist, würde die Bank Ihnen nur widerwillig einen symbolischen, unangemessenen Betrag zugestehen, den Sie teuer bezahlen würden, weil Sie in den folgenden Wochen immer und immer wieder von der rechten Presse heimgesucht würden, die aus Ihnen ihren neuen Helden machen will. Oder ihre neue Heldin«, fügte er hinzu, um der überproportional weiblichen Angestelltenschaft Rechnung zu tragen. »Was ist schlimmer: Eine kurze Geiselnahme durch uns freundliche Bankräuber oder eine endlose Belagerung durch schmierige Journalisten der Regenbogenpresse? Stellen Sie sich das mal vor.«
Entweder verflog bei Michelle gerade der erste Schrecken, oder sie hatte sich im Laufe des Morgens einfach daran gewöhnt, dass sich ihr alle paar Minuten der Magen umdrehte. Das anfängliche schwindelerregende Gefühl, von so einem unerwartet dramatischen Ereignis überrollt zu werden, wich einer pragmatischeren Einschätzung dieser zwar überaus seltsamen, aber doch andauernden und realen Situation. Eine Stimme in ihrem Kopf beschwichtigte sie, dass das Ganze immerhin die Fehltritte des letzten Abends in die richtige Perspektive setzte, aber als das Wort Regenbogenpresse fiel, erinnerte sie sich wieder daran, dass es bei so etwas nun mal keine Perspektive gab. Jetzt würde es amMontagmorgen eben zwei große Geschichten geben, von denen alle redeten.
Vielleicht hatte sie ja auch Glück, und sie brachten sie um; oder noch besser: sie brachten Grant um, bevor er es weitererzählen konnte. Bei dem Gedanken fiel Michelle plötzlich auf, dass Grant nicht da war. Unwillkürlich drehte sie sich nach seinem Büro um, was Jarry sofort merkte. Der Clownanführer folgte ihrem Blick zu der Tür, die jetzt natürlich umso auffälliger wirkte, da sie geschlossen war. Michelle schaute schnell zu Boden und war zu gleichen Teilen böse auf sich, weil sie Grant verraten hatte und weil sie den leichtfertigen Wunsch davor zugelassen hatte. Sie hatte zwar nichts davon groß auf ein Flipchart geschrieben, der Effekt war aber derselbe.
»Machen Sie sich keine Vorwürfe«, sagte Jarry. »Es ist wirklich besser, wenn wir alle hier vorne unter Kontrolle haben, als wenn es später eine böse Überraschung gibt, die womöglich zu einem Unfall führt. Mr Chagall?«
Chagall fesselte noch eine Geisel zu Ende und ging dann zielstrebig, aber ohne Hast auf Grants Büro zu. Michelle wollte ihre Schuldgefühle über den versehentlichen Verrat mit der Hoffnung besänftigen, dass Grant so sicher noch Zeit gehabt habe, den Alarm auszulösen, was aber irrelevant wurde, als sie verstand, dass die Räuber nicht nur schnell die Kassen plündern und wieder abhauen wollten. Sie hatten gerade mehrere Geiseln einfach zur Vordertür hinausspazieren lassen, also war ihnen an der Geheimhaltung der Sache sichtlich wenig gelegen. Was auch immer sie vorhatten, sie stellten sich auf einen längeren Aufenthalt ein.
Es überraschte sie ein wenig, als Chagall die Klinke drückte und die Tür behutsam aufstieß, anstatt sie aufzutreten. Zu viele Actionfilme. Niemand musste einen auf aggressiv machen, wenn er vier Kollegen mit Maschinenpistolen dabeihatte. Er verschwand kurz aus ihrem Blickfeld, kehrte aber bald allein zurück.
»Gähnende Leere«, meldete Chagall. Diesmal hörte sich der Akzent nach einem Amerikaner an, der als englischer Schnösel durchgehen wollte oder andersherum. »Aber unser Nachzügler hatbestimmt nicht vor, einen auf Bruce Willis zu machen.
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