Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
sich gar nicht erst melden, denn der sommersprossige Kopf wurde ihm sofort so rot, dass gleich klar war, wer sich genug beim Chef eingeschleimt und deshalb diesen eigentlich wenig begehrten Job aufgedrückt bekommen hatte.
»Nur nicht so schüchtern«, bat Jarry und half ihm auf. »Ich bringe Sie ja nur ungern in Verlegenheit, aber eins von diesen frechen Kindern hat Ihre automatischen Alarmsysteme ausgelöst, und Sie müssten uns eben dabei helfen, den Tresorraum zu öffnen.«
»D-das kann ich nicht«, stammelte Tom wohl zum ersten Mal diese Worte in diesem Gebäude. Er war die Verkörperung der Werbeslogan-Firmenphilosophie: Of course we can help. »Ich will Ihnen ja helfen, ich weigere mich nicht«, fügte er schnell hinzu, vielleicht aus Angst, vielleicht aus Gewohnheit. »Aber wenn das Sicherheitssystem aktiviert ist, kann ich es nicht vor Ort abschalten. Da kann ich mein Passwort eingeben, sooft ich will, da passiert nichts, wegen dem …«
»Remote Authorisation Delayed Double-Key System«, unterbrach Jarry ihn, »1998 von Berkley Security Solutions für die Pacific Western Bank entwickelt. Der Safe verriegelt sich automatisch und öffnet sich erst wieder, wenn zusätzlich zum Duty Manager auch ein Mitarbeiter im Hauptsitz sein Passwort eingibt, und auch dann erst nach sechs Stunden Wartezeit.«
»Richtig«, fügte Tom kleinlaut hinzu.
Jarry fuhr fort, als würde er aus der Bedienungsanleitung vorlesen: »Den Mitarbeitern wird erklärt, das System diene ihrem Schutz im Falle einer Geiselnahme, da jegliche erzwungene Information oder Kooperation nutzlos ist.«
Die Zeile kam Michelle noch von der Präsentation bekannt vor. Wie alle anderen hatte sie damals nicht so richtig zugehört, weil ja nie einer damit rechnet, das System in Aktion zu sehen. Deshalb hatte sich auch keiner große Gedanken über etwaige Sicherheitslücken gemacht, die die Experten übersehen haben könnten. Und wie es aussah würde Jarry ihnen jeden Moment so eine Lücke erklären.
»Ich überbringe Ihnen nur sehr ungern diese schlechte Nachricht, Thomas, aber das Remote Authorisation Delayed Double Key System soll vor allem das Geld schützen, weshalb es auch von so vielen Banken auf der ganzen Welt eingesetzt wird. Es soll Zeit schinden, während sich draußen die Bullen aufbauen, damit die Räuber den Traum vom großen Geld aufgeben und lieber um einen Hubschrauber in ein Land ohne Auslieferungsabkommen verhandeln. Im Falle einer Geiselnahme hindert das System die Mitarbeiter daran, eigenmächtig ihre unbedeutenden, kleinen Leben mit ihren Passwörtern und PIN -Nummern freizukaufen, schützt sie aber keineswegs vor den Räubern, sollten diese die Geiseln eine nach der anderen erschießen wollen, wenn der Hauptsitz sein Passwort nicht beisteuert, um den Safe zu öffnen.«
In genau dem Moment stand Dalí auf und hielt das Furcht einflößendste, komplizierteste Gewehr in den Händen, das Michelle jemals gesehen hatte. Die identischen, kompakten Waffen der anderen Räuber wirkten dagegen poplig und unecht. Das von Dalí hatte zwei Läufe übereinander, auf dem oberen eine Zielvorrichtung und ums untere einen Pumpgun-Griff, und all das ragte aus einem eindrucksvollen Stahlgehäuse hervor. Am beunruhigendsten war aber die bewegliche Schulterstütze, die im Moment noch nach vorne eingeklappt war, und in deren vier runden Aussparungen graue Zylinder steckten. Michelle wusste über Gewehre eigentlich nur, dass sie peng machten, aber aus all den Macho-Filmen, in die sie mitgeschleift worden war, hatte sie gelernt, dass aus diesem etwas Größeres herauskommen würde als nur eine Kugel.
»Aber keine Angst«, beschwichtigte Jarry im gleichen verrückt-freundlichen Ton wie vorher, »wir wollen hier wirklich niemanden bedrohen. Thomas müsste uns nur eben ins Netzwerk lassen.«
Belagerungszustand
Andy schaute sich belustigt die Polizeipanik an. Dick und Doof, die beiden großkotzigen Straßenbullen, die sonst immer alle so von oben herab behandelten, stolperten hilflos umher, als es endlich mal etwas Anspruchsvolleres zu tun gab als die alltägliche Schikanierung unschuldiger Straßenmusiker. Der Anblick tat unheimlich gut.
Als einige Leute, die auf die Bank zugesteuert waren, zurück die Buchanan Street hinunterliefen, wurde Andy klar, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Er verstand nicht, was sie riefen, weil er gerade seinen spontanen Vambo-Tribut mit seiner wie erwartet aufsehenerregenden Interpretation von Ain’t Nothing Like a
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