Die Holzhammer-Methode
nicht, was sie von ihrem Retter zu halten hatte. Sie kannte nicht einmal seinen Namen. Aber sie brauchte sich ja auch nicht lange bei ihm aufzuhalten. Ein Kaffee der Höflichkeit halber – und dann würde sie wieder gehen.
Einunddreißig Minuten später klingelte Christine an der Tür ihres Regenretters. Er öffnete in blauen Adiletten, ausgebeulter grauer Jogginghose und dem orange-schwarz karierten Flanellhemd, das sie schon kannte. Dieser Aufzug bedeutete für Christine zwar eine akute Netzhautbeleidigung, aber andererseits auch, dass der Mann offenbar nicht vorhatte, sie zu verführen. Das war positiv.
«Magst du einen Kaffee?», fragte ihr Retter. Und als sie zustimmend nickte, schob er gleich die nächste unvermeidliche Frage hinterher: «Wie heißt du eigentlich?»
Christine war klar, dass es lächerlich wirken würde, wenn sie unter diesen Umständen Titel und Nachnamen nannte. Sie konnte nicht beim «Sie» bleiben, weil es nie ein «Sie» gegeben hatte. «Christine», sagte sie.
«Matthias», sagte ihr Gastgeber und schüttelte ihr unvermittelt die Hand. Dann bat er sie überraschenderweise nicht in die Küche, sondern direkt ins Wohnzimmer. Das war in dieser Gegend äußerst ungewöhnlich. Aber ungewöhnlich war wohl auch dieser Matthias. Und sein Wohnzimmer eine ziemliche Katastrophe. Alles, was man in einem Wohnzimmer brauchte, und sehr vieles, was Christine in einem Wohnzimmer noch nie gebraucht hatte, lag auf dem Fußboden herum. Besonders sauber war es auch nicht. Hier wurde zwar offenbar hin und wieder staubgesaugt – aber nur unter weiträumiger Umfahrung aller Stapel und Häufchen, die sich über den Teppichboden verteilten. In einer Ecke des Raumes standen eine Kiste mit Motorradteilen und ein Kanister Motoröl.
Der erstaunlichste Einrichtungsgegenstand befand sich jedoch in der Ecke neben dem Sofa. Dort stand auf einem niedrigen dreieckigen Tisch ein kleiner geschlossener Schrank, der mit seinen zwei Flügeltüren und der geschwungenen Form an einen Altar erinnerte. Christine dachte zunächst, es sei einer der hierzulande notorischen Herrgottswinkel. Aber weit und breit war kein Kreuz zu sehen, weder mit noch ohne baumelnden Jesus. Vor dem liebevoll geschnitzten Holzschränkchen befand sich ein kleines schwarzes Metallgefäß mit Deckel. Vom Boden vor dem Tisch ragten links und rechts zwei hohe Kerzenhalter in die Höhe. Zwischen ihnen lag ein abgewetztes Sitzkissen, und rechts vom Kissen gab es einen kleinen Ständer mit einem Metallschälchen darauf, neben dem ein Klöppel lag.
Nach allem, was Christine wusste, gehörten diese Gegenstände wahrscheinlich zu irgendeiner östlichen Religion. Bei näherem Hinsehen fiel ihr auf, dass diese Ecke des Raumes die einzig saubere war. Auf dem Tisch war erst kürzlich staubgewischt worden, und der Teppich unter dem Sitzkissen war gründlich gesaugt. Christine räumte zwei Pullover beiseite und setzte sich auf das braune Ledersofa. In diesem Moment kam Matthias mit zwei Kaffeetassen durch den offenen Durchgang aus der Küche. Er stellte die Tassen auf den Couchtisch vor dem Sofa und entfernte im Gegenzug eine alte Pizzapappe und eine leere Chipstüte aus dem Blickfeld.
Christine war neugierig auf die Geschichte, die hinter den fernöstlichen Kultgegenständen steckte. Schließlich war Matthias eindeutig kein Japaner, sondern ein Einheimischer mit schwerem bayerischen Dialekt. Sie überlegte, ob es zu indiskret wäre, danach zu fragen. Aber schließlich stand das Zeug hier mitten im Wohnzimmer herum – und das in einer Gegend, die nicht gerade für ihre religiöse Vielfalt bekannt war. Also nahm sie einen Schluck Kaffee und fragte möglichst unverfänglich: «Was ist denn das da für ein hübsches Schränkchen?»
«Das ist mein Butsudan», antwortete Matthias, ohne zu zögern. Dann ging er zu dem Schränkchen und öffnete die beiden Flügeltüren. Automatisch ging innen ein Licht an, und man sah eine Schriftrolle mit altertümlichen Zeichen. «Und das ist mein Gohonzon. Er enthält alle Weisheit des Universums.»
«Wie? Alles auf einem Blatt?», fragte Christine ungläubig.
«Ja, das ist ja das Geniale.»
Christine merkte, dass Matthias das nicht ironisch meinte. Er glaubte es wirklich. Und dann erzählte er ihr die ganze Geschichte von seiner Bekehrung, inklusive seiner Kneipenbekanntschaft und seinen unreligiösen Motiven, sie nach München zur Buddhistenversammlung zu begleiten. Christine war beeindruckt. Man musste ganz schön autonom sein,
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