Die Holzhammer-Methode
um sich in dieser Umgebung offiziell vom Katholizismus abzuwenden. Nett fand sie auch, dass Matthias die ganze Sache trotzdem nicht verbissen sah. Er erzählte, dass es viele verschiedene Richtungen des Buddhismus gebe, dass seine Richtung zum Beispiel ziemlich wenig mit dem Dalai Lama zu tun habe. Er beschrieb auch, wie er jeden Tag praktizierte, morgens vor der Arbeit. Dabei sei ein Text zu rezitieren, den kein Mensch verstand, weil er in Altjapanisch geschrieben war, der aber wegen seiner Tiefe und Mehrdeutigkeit nicht übersetzt werden konnte. Christine fragte dezent, was es einem Menschen bringen sollte, etwas zu rezitieren, was er letztendlich nicht verstand.
«Wo ist das Problem? Die lateinischen Messen früher hat ja auch niemand verstanden», antwortete er schlagfertig.
Der Kaffee, den Matthias gekocht hatte, schmeckte überraschend gut, und die Zeit verging schneller, als Christine gedacht hätte. Als sie aufstand, um aus dem Fenster zu sehen, stellte sie fest, dass die Bergspitzen auf der linken Seite des Tales bereits ganz in Rosa getaucht waren. Außerdem sah sie auf dem Nachbargrundstück ihre Wirtin, die vor der Küchentür ihren Katzen das Abendessen kredenzte.
«Wow, ein richtiges Alpenglühen», sagte Christine.
Matthias trat neben sie. «Das haben wir hier jeden Tag», antwortete er. Und fügte grinsend hinzu, dass das der Standardspruch seiner Eltern gewesen sei. Sie hatten an Feriengäste vermietet, und wenn die etwas besonders lobten, egal, ob es die hübschen Wolken, das Wetter oder die Bergsicht war, dann hieß es: «Das haben wir hier jeden Tag.» Wenn etwas schlecht war – meistens das Wetter –, dann hieß es: «Morgen wird’s besser.» Egal, ob der Wetterbericht im Radio gerade drei Wochen Regen angesagt hatte. Christine lachte. Ihr wurde bewusst, dass sie die Einheimischen nur aufgrund ihres Dialekts bisher automatisch für ein bisschen langsam gehalten hatte. Sie hatte sich getäuscht. Und als sie sich etwas später von Matthias verabschiedete, war sie durchaus erfreut, als er sie fragte, ob sie Lust hätte, mal mit ihm auszugehen.
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4
In der Polizeiwache hatte sich Hektik breitgemacht. Schon wieder eine Leiche – und noch vor dem Mittagessen. Das hatte Holzhammer gerade noch gefehlt. Angeblich lag sie in einer verlassenen alten Hütte im Jennergebiet herum. Mehr war aus dem Penner nicht herauszukriegen. Er hatte sich die Tote nicht genauer angesehen.
«Das hätte mir noch gefehlt, dass ihr meine Fingerabdrücke da findet», sagte er. Und damit hatte er wohl recht.
Holzhammer hatte den Hubschrauber angefordert, und der war fünfzehn Minuten später in der Schönau gelandet, um den Notarzt und zwei Bergwachtler an Bord zu nehmen. Inzwischen war der Leichnam vom Berg geholt und direkt ins Kreiskrankenhaus gebracht worden. Von dort hatte man auf der Polizeiwache angerufen und die Personendaten durchgegeben. Die gute Frau hatte braverweise ihren Ausweis dabeigehabt. Einige Anrufe später wusste Holzhammer, dass es sich bei der Toten um eine privatversicherte ältere Dame namens Mathilde Zechner handelte, die in der örtlichen Reha-Klinik untergebracht war. Dort erholte sie sich von einer Schlüsselbeinfraktur und hatte mit Genehmigung der Klinik die leichte Wanderung unternommen. Da sie ein Ticket der Jennerbahn bei sich hatte, lag es nahe, dass sie mit der Seilbahn bis zur Bergstation gefahren und von dort bergab Richtung Mittelstation gegangen war. Allerdings war sie unterwegs von dem breiten Forstweg abgewichen und auf einem kleinen unbezeichneten Steig weitergegangen – bis zu der alten Schutzhütte, in der sie tot aufgefunden wurde.
Der Arzt konnte nicht genau sagen, woran sie gestorben war. Während bei dem Gleitschirmflieger ein Unfall ziemlich plausibel erschien, war diese Todesursache hier praktisch auszuschließen. Der Körper war in dem offenen Unterstand auf dem Boden vor einer Bank liegend gefunden worden und hatte keinerlei äußere Verletzungen aufgewiesen. «Todesursache: Herzinfarkt» hatte der Arzt geschrieben, aber Holzhammer wusste, das war im Grunde nur geraten. Nach den Infos aus der Klinik hatte die Sechzigjährige weder an Bluthochdruck noch an Arteriosklerose gelitten. Den Messwerten zufolge hatte sie das Herz einer gesunden Vierzigjährigen gehabt, war weder übergewichtig noch Raucherin, und auch ihr EKG war mustergültig gewesen. Holzhammer würde seinen Chef bitten, eine Obduktion zu beantragen. Schon wieder.
Die beiden
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