Die Holzhammer-Methode
weniger bedrohlich, als noch weiter frierend im Regen herumzulaufen. Also setzte sie den Helm auf und kletterte auf den Rücksitz.
Matthias fuhr betont vorsichtig – langsam in den Kurven und ohne irgendwelche Angebereien. Und wie versprochen bog er schon zwei Minuten später in seine kleine Straße ein. Er fuhr an Christines Bleibe vorbei, direkt zu seiner Garage. Als er anhielt, stieg Christine ab, bedankte sich für die Hilfsbereitschaft und machte Anstalten zu gehen. Sie wollte so schnell wie möglich raus aus den nassen Klamotten. Doch Matthias ließ sich nicht so leicht abwimmeln.
«Halt, wo willst du denn hin?»
«Na, in meine Pension, umziehen, baden. Beziehungsweise ausziehen, duschen, umziehen.»
«Die Schön nimmt dir garantiert drei Euro fürs Bad ab, bei mir kannst du umsonst baden.» Ganz Hilfsbereitschaft – und vielleicht ein kleiner Hintergedanke.
«Das ist nett gemeint, aber ich brauch doch mein Waschzeug und meine Kleidung.» Das hätte ihr gerade noch gefehlt, bei dem Gummimann zu duschen.
«Na gut, dann gehst du jetzt baden und kommst nachher rüber. Kriegst ’nen schönen Kaffee und einen Whisky dazu. Okay?»
«Na gut.» Christine hatte nicht vor, ihrem erotischen Erlebnis von Donnerstag gleich heute ein zweites folgen zu lassen. Aber sie sah ein, dass ihr Retter zumindest Anspruch darauf hatte, mit ihr einen Kaffee zu trinken. Außerdem kam ihr der große Mann, der sich während der Unterhaltung nach und nach aus seinem wasserfesten Überzug pellte, vage bekannt vor.
«Ich brauch so eine halbe Stunde», sagte sie und wandte sich zum Gehen.
Matthias schob sein Motorrad in die Garage. Im Gegensatz zum Nachbarhaus war seins erst in den sechziger Jahren erbaut worden – von seinen Eltern. Zur Hälfte gehörte es seinem Bruder, der mit seinem Freund in München wohnte. Hin und wieder kamen die beiden auch gerne mal ein paar Tage zum Wandern oder Skifahren heraus. Doch die meiste Zeit lebte Matthias allein in dem Haus, das zwar alles andere als ein Schmuckstück, aber doch solide von den Handwerkern in der Verwandtschaft gebaut war. Seinen Ansprüchen genügte es jedenfalls. Er interessierte sich weder für Inneneinrichtung noch für Haus- oder Gartenarbeit. Das sah man dem Anwesen leider an. Er wusste das, aber er stand dazu und dachte gar nicht daran, jetzt in hektische Betriebsamkeit zu verfallen, nur weil er Damenbesuch erwartete.
Als Christine die Auffahrt zur Pension hinaufging, sah sie ihre Vermieterin auf der alten, aus einem ganzen Baumstamm herausgehauenen Bank neben dem Eingang sitzen. Die Bank war durch das weit vorspringende Dach vor dem Regen geschützt. Mit einem für ihre Verhältnisse recht zufriedenen Gesichtsausdruck blickte die Frau zu dem jetzt kaum erahnbaren Bergmassiv hinüber, von dem Christine gerade heruntergestolpert war. Sie grüßte freundlich und wollte an der Wirtin vorbei ins Haus gehen.
Da grantelte die Schön: «Jessas, ziehen Sie halt die Schuhe aus!»
Die Frau war wirklich unmöglich. Noch nie was von Dienstleistungsgesellschaft gehört. Aber wozu ärgern, gehorsam setzte Christine sich ans Ende der Bank und quälte sich aus den schlammigen Bergstiefeln. Dann ging sie auf Strümpfen nach oben, ließ Badewasser ein, schnappte sich aus ihrem Zimmer saubere Sachen und Waschzeug und verschwand im Bad. Es war herrlich, im warmen Wasser zu versinken. Erst jetzt merkte Christine, wie sehr ihr Körper ausgekühlt war. Selbst nach drei Minuten im heißen Wasser fühlte sich ihr Hintern immer noch an wie ein auftauender Eisblock. Sie musste sich eingestehen, dass sie heute Morgen wirklich sehr unbedarft losgestolpert war. Schließlich hätte sie sich bei dem rutschigen Rückmarsch auch den Fuß brechen können. Und sie hatte nicht nur keine Jacke dabeigehabt, auch ihr Handy war leer. Niemand wusste, wo sie war, niemand hätte nach ihr gesucht, niemand den roten Hubschrauber geschickt. Das wäre eine unangenehme Nacht im Schlamm geworden. Roter Hubschrauber … Wer da wohl geborgen worden war?
Als sie endlich wieder aufgetaut war und ihre Muskeln und Gedanken sich entspannten, fiel ihr plötzlich auch ein, woher sie den Gummimann kannte: Er war einer der Steinzeitmänner aus der Kneipe. Und es war nicht nur die Regenmontur gewesen, die das Erkennen erschwert hatte. In der Kneipe hatte er wie die anderen Einheimischen in Berchtesgadener Dialekt geredet. An der Tankstelle jedoch hatte er sie in fast perfektem Hochdeutsch angesprochen. So richtig wusste sie
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