Die Holzhammer-Methode
man ihn jetzt schlecht wegen der Genehmigung der Analyse fragen. Das war alles völlig verfahren. Und was hatte er bis jetzt wirklich in der Hand? Eigentlich nichts. Es war immerhin möglich, dass sich in keinem der Gläser Gift fand und in den Gewebeproben auch nicht. Vielleicht sah er Gespenster. Vielleicht hatte die alte Vettel aus Hannover ihre Schwiegertochter doch absichtlich ins Jenseits befördert. Und niemand von hier hatte mit der Sache zu tun. Wenn es sich so verhielt, dann würde ihm wahrscheinlich ein sauberes Disziplinarverfahren ins Haus stehen.
Noch bevor Holzhammer sich endgültig entschieden hatte, wie er weiter vorgehen sollte, öffnete sich seine Bürotür, und drei dynamische, mit Taschen beladene Männer stapften herein. Die Spurensicherung in voller Besetzung.
Holzhammer wies auf die Tüten mit den Gläsern. «Einmal das volle Programm», sagte er. «Fingerabdrücke und was ihr sonst noch könnt. Und ganz wichtig: Ich muss wissen, ob die geöffnet oder sonst wie manipuliert wurden.»
Josef Berg, der Chef der Spurensicherung, blickte von der Tütensammlung auf dem Tisch zu Holzhammer und wieder zurück. «Sag mal, hast du die Gläser mit der nackten Hand in diese dreckigen Beutel gesteckt?», fragte er. «Wie gehst du eigentlich mit Beweismaterial um? Ein bisschen was solltest doch sogar du inzwischen gelernt haben.»
Die beiden kannten sich seit ihrer Kindheit. Sie hatten zusammen Fußball gespielt. Berg war hier aufgewachsen, dann hatte er in München Werkstofftechnik studiert. Anschließend war er als Seiteneinsteiger in den gehobenen Polizeidienst gegangen, direkt zur Spurensicherung. Wenn es nichts zu sichern gab, betätigte er sich bei der Bergwacht oder hielt Schulungen für Spurenvernichter wie Holzhammer.
«Jetzt mach mal halblang», gab Holzhammer zurück, «die Dinger sind vielleicht vergiftet. Ich musste so schnell wie möglich dafür sorgen, dass die nicht mehr verkauft werden. Außerdem, irgendwas müsst ihr ja auch noch zu tun haben.»
«Schon gut», lachte Berg. «Nehmen wir halt deine Fingerabdrücke zum Abgleich – falls die nicht zu dick sind für unseren Teststreifen.»
Einer von Bergs Assistenten nahm Holzhammers Fingerabdrücke, der zweite stellte ein Fotostativ für die Makroaufnahmen auf.
«Um wegen der Manipulationen sicherzugehen, müssten wir die Gläser aber öffnen», erklärte Berg dem Hauptwachtmeister.
«Alles, was du willst. Nur iss nichts davon. Ich mach dann derweil eine Runde durch den Markt», sagte der. Dann griff er nach seiner Uniformjacke und stand auf. Er konnte genauso gut seine Mittagspause vorziehen, denn hier war im Moment ohnehin nichts mehr zu tun. Und den Spurenleuten bei der Arbeit zuzuschauen machte ihn immer wahnsinnig.
«Ist gut, wenn ein Mord passiert, ruf ich dich am Handy an.» Und schon hatte Berg sich zum bequemeren Arbeiten auf Holzhammers Platz gesetzt.
Holzhammer verließ das Polizeigebäude. Draußen war es schon wieder viel zu heiß für seinen Geschmack. Er stieg in seinen Dienstwagen, fuhr die 500 Meter bis zur Fußgängerzone und parkte auf dem Busparkplatz im Halteverbot. Hier lagen sich das Kurhaus, eine Betonbausünde aus den siebziger Jahren und das nagelneue, an den örtlichen Baustil angepasste Hotel Edelweiß direkt gegenüber. Hinter dem Edelweiß lag die Fußgängerzone. Das neue Pflaster und überhaupt die ganze Auffrischung der Fußgängerzone hatten die Berchtesgadener einem Österreicher zu verdanken. Einem Gastrounternehmer aus Großarl, der das völlig heruntergekommene Hotel Post hatte abreißen lassen und dafür das neue Vier-Sterne-Hotel Edelweiß gebaut hatte. Natürlich erst nach langjährigen Widerständen der einheimischen Bevölkerung, denn Neuerungen hatten es immer schwer im Talkessel. Inzwischen aber gab es kaum noch jemanden, der nicht begeistert war von dem neuen Schmuckstück in der Ortsmitte. Die anfänglichen Proteste hatten insofern ihr Gutes gehabt, als das neue Hotel nicht ganz so hoch und klotzig geworden war wie ursprünglich geplant. Die oberen Stockwerke waren zurückgesetzt worden, sodass von einer Verschattung der umliegenden Fußgängerstraßen kaum eine Rede sein konnte. Immerhin hatte das alte Hotel auch vier Stockwerke gehabt. Und alles rundherum war schöner geworden. Vom Gehweg bis zum Angebot der umliegenden Läden.
Wenn Holzhammer durch den Ort ging, kam er normalerweise nicht weit. Im Allgemeinen traf er alle 20 Meter Bekannte, mit denen ein paar Worte gewechselt
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