Die Holzhammer-Methode
Und wenn es nun nicht die Schwiegermutter gewesen war, dann bedeutete das ja … Er griff sich die Wagenschlüssel und rannte hinaus.
Mit Blaulicht raste er durch den Ort, vorbei an blühenden Wiesen, vorbei am McDonald’s, mitten über den Großparkplatz, durch die Fußgängerzone zum See. Die Touristen sprangen nur so zur Seite, und die Ladenbesitzer fluchten hinter ihm her, weil seine quietschenden Reifen kleine Steinchen auf die Landhausdirndl an den Verkaufsständen schleuderten. Aber damit konnte Holzhammer sich jetzt nicht aufhalten. Er wusste genau, in welchen Geschäften Resis gesunder Brotaufstrich verkauft wurde. Als kleiner Bub hatte er sich sein Taschengeld aufgebessert, indem er die Gläser per Fahrrad dort ablieferte. Und am Vertriebsweg seines Großonkels hatte sich seitdem nichts geändert. Nur dass er inzwischen andere kleine Buben beschäftigte und die Preise für die Auslieferung von fünfzig Pfennig auf zwei Euro pro Karton gestiegen waren. Mit quietschenden Reifen hielt Holzhammer vor dem ersten Geschäft und stürmte hinein.
«Servus, Franz», grüßte die Verkäuferin, die eine Freundin seiner Frau war.
«Servus, Beate, gib mal schnell a Sackerl bitt schön», antwortete er außer Atem und war schon dabei, die Gläser mit Resis Brotaufstrich aus dem Regal zu räumen.
«Ja, was ist denn los? Was machst du denn da?», fragte die Verkäuferin entgeistert.
«Die san konfisziert.» Holzhammer hatte jetzt keine Zeit für lange Erklärungen.
«Wennst meinst, aber warum denn?» Zum Glück versuchte Beate nicht, ihn zu hindern, sondern hielt ihm ganz automatisch eine Plastiktüte hin.
«Später, ich muss weiter.» Er steckte die vier Gläser in die mit dem Ladenlogo bedruckte Plastiktüte und hastete hinaus. Er stellte den Beutel durchs offene Fenster ins Fahrzeug und lief gleich zu Fuß zum nächsten Andenkenladen. Nach kaum mehr als zehn Minuten hatte er fünf Tüten mit dreiundsiebzig Gläsern eingesammelt. Erschöpft ließ er sich in den Fahrersitz sinken. Er hoffte nur, dass er schnell genug gewesen war, denn inzwischen war er sicher, dass in Hannover eine Schwiegermutter unschuldig im Gefängnis saß. Und das bedeutete im Umkehrschluss, dass jemand schuldig im Talkessel herumlief. Jemand, der wahllos Touristen tötete.
Holzhammer fuhr mit seiner Beute zur Polizeiwache und begann zu telefonieren. Zuerst mit dem kriminaltechnischen Institut in München. Er kündigte an, dass er per Kurier dreiundsiebzig Gläser Brotaufstrich vorbeischicken würde, außerdem Reste von Müsliriegeln und Papierservietten. Alles wäre auf Gift zu untersuchen, und zwar presto. Doch erst musste die Spurensicherung sich über die Gläser hermachen. Um nicht beim Versand noch mehr Spuren zu verwischen, bestellte er die Spezialisten aus Traunstein direkt zu sich auf die Wache. Dann wählte er die Nummer von Christine, die sofort abnahm.
«Servus, hier ist der Holzhammer Franz.»
«Hallo, was gibt’s?» Christines Stimme klang erfreut.
«Ja, es war gut, dass du Proben von den Leichen genommen hast. Die müssen jetzt sofort untersucht werden. Auf Gift.»
Holzhammer erzählte ihr, was er von der Polizei aus Hannover gehört hatte. Und von seiner Jagd nach den Gläsern. «Natürlich weiß ich jetzt noch nicht, was mit den Gläsern ist, ich schicke die Sachen erst heute Nachmittag nach München, aber wir hatten ja beide kein gutes Gefühl.»
Christine brauchte einen Augenblick, um die Informationen zu verdauen und die Implikationen auf die Reihe zu bekommen. Kein Unfall. Nein, Plural. Keine Unfälle. «Mein Gott, wer macht denn so was und weshalb? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.»
«Sehen wir erst mal, was bei der Untersuchung herauskommt. Ich lass die Proben aus dem Krankenhaus kommen und gebe alles dem Kurier nach München mit. Das Ergebnis hab ich dann wohl morgen Nachmittag. Wenn man Druck macht, geht immer alles recht schnell.»
«Ich möchte das dann unbedingt sofort wissen, ja?»
«Sicher, du erfährst es als Erste, noch vor meinem Chef.» Bei der Erwähnung seines Chefs fiel Holzhammer ein, dass er den schon wieder etwas stiefmütterlich behandelt hatte. Drüben auf dem Kongress konnte er zwar nicht ins Geschehen eingreifen, aber ein kleiner Statusbericht wäre wohl trotzdem angebracht. Andererseits hatte Fischer sich vehement gegen eine Obduktion der Leichen ausgesprochen – und er wusste ja auch überhaupt nichts von den Proben, geschweige denn von der ganzen Aktion mit Christine. Da konnte
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