Die Holzhammer-Methode
werden mussten – privat oder dienstlich. An diesem Vormittag jedoch schienen alle Bekannten irgendwo beschäftigt zu sein. Ihm begegneten ausschließlich Touristen, die vor den Schaufenstern standen oder sich gegenseitig vor den alten Häusern fotografierten. Holzhammer ging über den Weihnachtsschützenplatz in die Metzgergasse, vorbei an Sportgeschäften und Trachtenläden. Hinter dem Müllermarkt passierte er das Hirschenhaus mit der berühmten Affenfassade. Diese alte Freskenmalerei war der deutliche Beweis, dass die Berchtesgadener schon immer eine subversive Ader gehabt hatten. In Reihen, wie in einem Comic, waren kleine Bilder angeordnet, die Szenen aus dem damaligen Stadtleben zeigten. Allerdings: Alle handelnden Personen waren als Affen dargestellt.
Da Josef Berg sich eine Viertelstunde später noch immer nicht gemeldet hatte, setzte Holzhammer sich auf eine der Bierbänke vor dem Goldenen Bär und bestellte ein Jubi. Kurz überlegte er wieder, ob er seinen Chef anrufen sollte. Aber er beschloss, dass das noch Zeit hatte, mindestens bis das Ergebnis der Spurensicherung vorlag.
Eine halbe Stunde und drei Gespräche mit vorbeikommenden Bekannten später klingelte endlich Holzhammers Handy. Spurensucher Berg war dran: «Du kannst zurückkommen. Wir haben dein Büro jetzt ausreichend verwüstet.»
«Na super. Und, was gefunden?»
«Tja, jede Menge Fingerabdrücke», sagte Berg. «Auf jedem Glas mindestens drei verschiedene, auf einigen sogar vier. Deine natürlich auf jedem Glas – und noch eine Sorte. Und dann fünf unterschiedliche aus den fünf verschiedenen Tüten. Wahrscheinlich von den Verkäuferinnen, die die Gläser in die Regale geräumt haben. Das heißt, wir brauchen die Fingerabdrücke von diesen Verkäuferinnen. Aber wir lassen natürlich auch alles durch den Computer laufen.»
«Und sonst?» Holzhammer merkte, dass Berg ihm noch etwas vorenthielt.
«An vier von deinen Gläsern wurde das Etikett manipuliert. Und genau an diesen Gläsern haben wir auch minimale Kratzspuren am Deckel gefunden.»
«Und das heißt? Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.»
«Wenn du mich fragst, heißt das, dass diese vier nach der Herstellung noch einmal geöffnet wurden. Und zwar sehr vorsichtig. Und sorgfältig wieder verschlossen», sagte Berg.
Da hatte er’s.
Als Holzhammer wieder im Revier eintraf, fiel ihm als Erstes auf, dass die Spurensicherer sein Büro deutlich ordentlicher hinterlassen hatten, als es zuvor gewesen war. Sie hatten ihre Spuren perfekt verwischt. Die Gläser hatten sie alle einzeln in Beweismitteltüten verpackt und nummeriert. Vier extra gekennzeichnete Gläser standen abseits. Auch die Proben aus dem Krankenhaus waren mittlerweile eingetroffen. Berg hatte sie entgegengenommen und dafür unterzeichnet. Holzhammer bestellte den Kurier, der alles nach München bringen sollte. Dann rief er im kriminaltechnischen Institut an und erklärte, worauf untersucht werden sollte. Den Namen des Gifts hatte er sich aufgeschrieben: «Aconitin. Aus dem Eisenhut.»
«Wow, endlich mal was Interessantes», freute sich der junge Biochemiker am anderen Ende der Leitung.
«Wann bekomme ich das Ergebnis?»
«Tja, im letzten Jahrhundert hätte das zwei Tage gedauert. Aber mit unserem Spektrometer haben wir das Ergebnis in ein paar Minuten. Die Präparation der Proben mitgerechnet. Genaue Mengenanalysen dauern etwas länger. Aber ich hab die Proben ja noch nicht einmal hier.»
«Die sind auf dem Weg. Und wenn Gift drin ist, will ich es sofort wissen. Danach können Sie von mir aus fürs Protokoll die Atome einzeln zählen.»
«Ist ja gut, wir tun immer unser Bestes.»
«War nicht so gemeint, Entschuldigung. Dafür dürfen Sie die sauberen Proben behalten. Der Brotaufstrich ist gut für Wachstum und Knochenbau.» Holzhammer konnte nicht wissen, dass seine geringe Größe den größten Kummer und Komplex des jungen Mannes begründete. War er selbst mit seinen 1 , 65 m doch vollkommen zufrieden.
«Ich melde mich. Wiederhören.»
Holzhammer rechnete sich aus, dass die Proben so zwischen sechzehn und siebzehn Uhr im Labor eintreffen würden. Das hieß, er würde frühestens gegen achtzehn Uhr Bescheid wissen. Und dann? Dann hatte er wahrscheinlich ganz offiziell einen Seriengiftmörder am Hals – oder eine Seriengiftmörderin. Bis dahin würde er sich die Zeit damit vertreiben, Fingerabdrücke von den Verkäuferinnen in den Souvenirshops zu nehmen. Und von seinem Großonkel.
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