Die Holzhammer-Methode
Natürlich hätte er die Leute auch alle aufs Revier bestellen können, aber ihm fiel die Decke auf den Kopf. Angesichts der neuesten Entwicklung brauchte er eindeutig frische Luft.
Die Verkäuferinnen waren kein Problem. Holzhammer erklärte ihnen – möglichst ohne größere Panikmache –, dass er ihre Abdrücke nur zur Unterscheidung von denen eines vermeintlichen Kriminellen brauchte. Die größte Sorge der Damen war, wie sie die Tinte wieder von ihren Fingern bekamen.
Danach stand der Ausflug zu seinem Großonkel an. Er hatte den Alten zuletzt auf der Beerdigung von Großtante Resi gesehen. Er war ein Eigenbrötler, den man am besten in Ruhe ließ, wenn man nicht einen sehr guten Grund hatte, ihn zu stören. Die einzigen Leute, mit denen er seit dem Tod seiner Frau noch regelmäßigen Kontakt hatte, waren seine Kameraden vom Kriegerverein. Mit denen traf er sich einmal im Monat nach der Kirche zum Frühschoppen.
Holzhammer fragte sich, wie er dem Hersteller und Erfinder von Resis gesundem Brotaufstrich erklären sollte, dass er seine Fingerabdrücke brauchte, ohne ihm gleichzeitig zu erklären, dass ausgerechnet sein gewinnbringendes Familienprodukt zu ein paar scheußlichen Giftmorden benutzt worden war. Einige Sekunden lang überlegte er, ob sein Großonkel selbst dahinterstecken konnte. Schließlich war er schon immer ein alter Griesgram gewesen, und seit Resis Tod hatte er sich immer mehr zurückgezogen. Aber nein, so etwas war ihm wirklich nicht zuzutrauen. Außerdem waren die Gläser nachträglich geöffnet worden. Das hätte sein Onkel Sepp ja gar nicht nötig gehabt. Er war schließlich Herrscher über den gesamten – wie hatte der Hannoveraner gesagt – Produktionsprozess.
Sepp Holzhammer lebte auf einem ehemaligen Bauernhof oberhalb von Berchtesgaden. Das Haus war erst vor fünfzehn Jahren ans Stromnetz angeschlossen worden – geheizt und gekocht wurde nach wie vor mit Holz. Das Zentrum des Hauses war ein riesiger grüner Kachelofen. Im Wohnzimmer nahm er halbkreisförmig eine ganze Ecke ein und bot mit seiner umlaufenden Holzbank jede Menge Platz, um sich im Winter nach dem Schneeräumen aufzuwärmen. Die Rückwand mit dem angebauten Herd ragte in die Küche, und die Oberseite des Ofens bildete eine Art Fußbodenheizung für das darüberliegende Schlafzimmer.
Das Haus war auf allen Seiten von einer blühenden Bergwiese umgeben. Es war das letzte an der Straße. Mitten auf der Wiese stand der mit Holzschindeln gedeckte Schuppen, in dem früher Ponys und Ziegen gehaust hatten und in dem sich nun schon seit vielen Jahren die Produktionsstätte von Resis gesundem Brotaufstrich befand.
Als Holzhammer in seinem Dienstwagen vorfuhr, saß sein Großonkel draußen neben der Eingangstür auf einer uralten Holzbank im Schatten und trank in aller Seelenruhe ein Glas Weißbier. Seine Vorliebe für dieses Kaltgetränk war der Hauptgrund dafür gewesen, dass er damals seiner Frau nachgegeben und den Stromanschluss hatte legen lassen.
Schon Sepps Eltern hatten die Landwirtschaft mehr oder weniger aufgegeben und sich stattdessen dem Fremdenverkehr verschrieben. Der Stall und die darüberliegende Tenne waren zu Fremdenzimmern umgebaut worden. Die meisten Wiesen wurden an andere Bauern verpachtet, nur direkt beim Haus behielt man ein Stückchen Land, auf dem für die Urlauber einige Ziegen und ein Pony gehalten wurden.
Die Fremdenzimmer ließen sich jedoch nur im Sommer vermieten, weil sie keine Heizung besaßen. Im Winter hatte Sepp daher früher als Liftführer am Jenner gearbeitet und bei Bedarf auch als Skilehrer. Im Sommer hatte er die Gäste auf die Berge geführt und sie abends mit alten Geschichten aus dem Tal unterhalten, damit sie noch einige Schnäpse bestellten. Sie hatten damals sogar eine Ausschankgenehmigung gehabt, allerdings nur für Hausgäste. Sepps Frau Resi hatte im Sommer die Gästezimmer betreut und im Winter in den neuen Hotels unten bei der Bergbahn die Betten gemacht. Per Ski war sie damals zur Arbeit gefahren und abends wieder aufgestiegen, denn die steile Straße wurde nicht geräumt. Irgendwann war ihnen aufgefallen, dass die Touristen ganz wild auf ausgefallene Mitbringsel waren. Und so war beinahe zwangsläufig die Idee entstanden, selbst ein solches Mitbringsel herzustellen.
Sie hatten einige Zeit überlegt. Bildchen und Schnitzereien gab es bereits im Überfluss zu kaufen, außerdem hatte keiner in der Familie künstlerisches Talent. Schließlich kam man darauf, es mit
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