Die Homoeopathie-Luege
Komplementärheilkunde und angeblich unmenschlicher moderner Medizin ist ein künstlich aufgebauter: Mitgefühl und Verständnis für die Probleme der Patienten hängen von der Person des Arztes ab, nicht von der Methode, die er praktiziert. Wenn Kranke heute die Erfahrung machen, von desinteressierten Medizinern abgefertigt zu werden, liegt das an der Person dieser Ãrzte und sicher auch an einer unzureichenden Honorierung der »sprechenden« und zuhörenden Medizin, des Dialogs zwischen Arzt und Patient, aber nicht an der Medizin an sich. »Die Medizin wäre verkrüppelt, wollte sie die seelischen Bedingungen und sozialen Umstände bei ihren Patienten ausklammern«, schrieb 2011 Johannes Köbberling, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, in der Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen . Der Unterschied zwischen der Zuwendung durch den herkömmlichen Arzt und der durch den Homöopathen ist bislang eher, dass Letzterer für seine Zuwendung deutlich mehr Geld bekommt. Das ist aus unserer Sicht ein Missstand im Gesundheitswesen, der wissenschaftsbasierte Ãrzte davon abhält, das wohl mächtigste Placebo einzusetzen, das sie zur Hand haben: ihre eigene Persönlichkeit.
Vielleicht könnte man einen ethisch vertretbaren Umgang mit Placebo- oder auch Kontext-Effekten folgendermaÃen charakterisieren: Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen; sich dem Patienten mitfühlend zu widmen, aber ohne ihm eine nachweislich wirksame Therapie vorzuenthalten. Wenn keine wirksame Therapie existiert, ein Placebo in Betracht zu ziehen, wenn der Patient einverstanden ist. Dafür braucht man keine Globuli, sondern in erster Linie das, was wir uns wohl alle von einem Arzt wünschen: Interesse an seinen Patienten und die Fähigkeit, es auszudrücken.
Warum Homöopathie autoritär ist
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war Medizin ein weitgehend hierarchisch organisiertes Geschäft: Der Arzt war der Experte, und der Kranke konnte nur darauf vertrauen, was der Experte verordnete. Was blieb ihm auch anderes übrig? Wie hätte er die Therapie eines Arztes sinnvoll mit der eines anderen vergleichen sollen? Wenn der Doktor sich auf die Erfahrung und das dicke Lehrbuch seines Professors berief, konnte der Patient so viel geballter Autorität wenig entgegenhalten.
Diese festgefügte Hierarchie ist ins Wanken geraten. Seit Anfang der 1990er-Jahre setzt sich in Kliniken und Arztpraxen immer mehr der Gedanke durch, dass Mediziner nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Pflicht haben, ihren Patienten gegenüber zu begründen, warum sie eine bestimmte Therapie vorschlagen. Mithilfe der evidenzbasierten Medizin verändert sich das Verhältnis von Arzt und Patient: vom Agieren eines Doktors, der den passiv Leidenden nach eigenem Gutdünken kuriert, hin zu einem Dialog auf Augenhöhe, in dem ein Arzt seinen mündigen Patienten über Nutzen und Risiken von Pillen und Operationen aufklärt, damit der sich sinnvoll zwischen verschiedenen Optionen entscheiden kann.
Evidenzbasierte Medizin führt zu einer radikalen Umkehr von Macht und Beweislast in der Arztpraxis: Ãrzte können sich heute nicht mehr das Recht nehmen, selbstbewusst a priori vom Nutzen ihrer Therapie auszugehen, nach dem Motto: »Soll doch erst mal einer kommen, der mir das Gegenteil beweist.« Denn es gilt in der evidenzbasierten Medizin zunächst als offen, ob eine Behandlung den Patienten nützt, schadet oder gar nichts bewirkt. So lange, bis diese Frage durch mehrere sauber durchgeführte Studien mit ähnlich positivem Ergebnis eindeutig beantwortet wird. Ein wissenschaftlicher Ansatz, der dazu führt, dass heute der Doktor in der Pflicht ist, seinem Patienten gegenüber zu rechtfertigen, warum er dieses und nicht jenes vorschlägt.
Es gehört zur menschlichen Würde, dass heute jeder selbstbestimmt oder mithilfe seiner Angehörigen entscheiden kann über das, was seine persönliche Gesundheit oder Krankheit betrifft. Und es ist zu begrüÃen, dass Patienten dieses Recht zunehmend auch einfordern: Umfragen, wie sie regelmäÃig zum Beispiel von der Techniker-Krankenkasse oder im Rahmen des Bertelsmann-Gesundheitsmonitors durchgeführt werden, belegen immer wieder, dass die Mehrheit der Kranken vom Arzt umfassend informiert werden will und sich nicht allein auf dessen
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