Die Homoeopathie-Luege
Entscheidung verlässt.
Auch alternativmedizinische Ãrzte halten die Rechte der Patienten hoch. Sie interpretieren sie in dem Sinn, dass Kranke das Recht und die Möglichkeit haben sollten, sich selbstbestimmt für Alternativen und Ergänzungen zur konventionellen Medizin zu entscheiden â etwa für die Homöopathie. Sie gilt vielen Medizinern als ein Therapiesystem auf Augenhöhe, das die Patienten nicht bevormunden will: Gespräche finden nicht in verklausuliertem Medizinerjargon statt, sondern in der Sprache der Patienten. Der Arzt nimmt sich Zeit für die Symptome und Probleme des Kranken und versucht, sich in ihn hineinzuversetzen.
Hat man sich einmal für die Homöopathie entschieden, ist die Selbstbestimmung des Patienten allerdings eher beschränkt. Der Grund dafür liegt darin, dass die Interpretation fest in der Hand des Arztes liegt. Wie soll ein Kranker nachvollziehen, warum sein Doktor ihn nach der einen oder aber nach der anderen homöopathischen Lehre therapiert? Der Doktor kann erzählen, dass er sich auf die klassische Homöopathie nach Hahnemann beruft, weil er sie für die reine Lehre hält, oder auf eine andere Schule, die er für moderner hält. Er kann Einzelmittel nach Dr. Hahnemann geben oder Komplexmittel nach Pastor Felke. Er wird seinem Patienten allerdings eines nicht beantworten können: die Frage, warum die eine Homöopathie ihn besser gesund macht als die andere. Die Entscheidung liegt damit in der Hand des Arztes, der sich in seiner Praxis auf eine bestimmte Schule festgelegt hat â der aber selbst auch keine wissenschaftlich nachvollziehbaren Kriterien in der Hand hat, wie sich die Wirksamkeit verschiedener Optionen einer homöopathischen Therapie vergleichen lieÃe.
Und der sich auÃerdem noch auf seine Erfahrung beruft: Immer wieder betonen homöopathische Ãrzte, dass Homöopathie letztlich »Erfahrungsmedizin« sei, deren Wirksamkeit schon seit 200 Jahren Tag für Tag von Millionen Ãrzten an ihren Patienten beobachtet wird.
Ãrztliche Erfahrung und Intuition haben auch in der wissenschaftsbasierten Medizin ihren festen Platz: Einem erfahrenen Arzt, der schon viele Patienten gesehen hat und weiÃ, worauf er besonders achten muss, sollte es leichter fallen, eine korrekte Diagnose zu stellen als einem Berufsanfänger. Auch am OP-Tisch wird die Erfahrung des Chirurgen nicht als Nachteil gesehen. Kein verantwortungsbewusster Mediziner würde seine Erfahrung unterschlagen, dass ein neues Medikament bei seinen Patienten unangenehme Nebenwirkungen zeigt: Er würde diese Beobachtung sofort ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte melden. Und ein sensibler und erfahrener Arzt, der das Gefühl hat, dass sein Patient ihm im Sprechzimmer etwas Wichtiges schamvoll verschweigt, wird vorsichtig nachfragen.
Ãrzte agieren zwar auf den Fundamenten von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und klinischen Studien, sollten aber immer die persönliche Situation der Kranken in die Behandlung einbeziehen. Auch Lehrbücher zur evidenzbasierten Medizin sehen den Mediziner nicht als studienfixierten Zahlenfuchser, sondern fordern ihn auf, sein Wissen aus Studien mit dem Wissen über seinen individuellen Patienten sowie mit dessen Wertvorstellungen abzugleichen. Kein Arzt, der seinen Beruf ernst nimmt, wird eine Therapieentscheidung allein auf Basis von Statistiken treffen. Nicht zuletzt deshalb heiÃen evidenzbasierte Leitlinien für Ãrzte Leitlinien und nicht Richtlinien: Sie sollen leiten, sind aber nicht bindend für jeden nur erdenklichen Einzelfall.
Problematisch wird es hingegen immer dann, wenn Ãrzte sich das Recht nehmen, bei ihren Entscheidungen allein auf die Erfahrung zu setzen. Wer sich zu sehr oder gar ausschlieÃlich auf Beobachtungen verlässt, läuft immer Gefahr, daraus Fehlschlüsse zu ziehen wie den folgenden: Geht es einem Patienten schlecht, er bekommt ein Medikament und es geht ihm besser, dann kann das nur an dem Medikament gelegen haben. Eine Art Kurzfassung dieser vermeintlichen Kausalkette ist der von Homöopathen regelmäÃig vorgebrachte Satz »Wer heilt, hat recht«, der unausgesprochen unterstellt, dass natürlich der Arzt eine Heilung herbeigeführt hat.
Eine Deutung, der wir entschieden widersprechen möchten, weil es viele andere Ursachen für eine Besserung geben kann â erst recht bei Arzneimitteln wie
Weitere Kostenlose Bücher