Die Homoeopathie-Luege
während Hahnemann seinen Homöopathika lieber Zeit lieÃ, ihre Wirkung zu entfalten. »In dieser Zwischenzeit, bis das zweyte Medicament gereicht wird, kann man den Kranken zur Stillung seines Verlangens nach Arzney und Beruhigung seines Gemüths etwas Unschuldiges, z.B. täglich etliche Theelöffel voll Himbeersaft, oder etliche Pulver Milchzucker einnehmen lassen«, befand der Meister in einem Aufsatz von 1814 (zitiert nach Samuel Hahnemann: Gesammelte kleine Schriften , hrsg. von Josef M. Schmidt, Daniel Kaiser, Haug Verlag, 2001). In seinen Krankenberichten notierte er genau, wann er Patienten ein echtes und wann ein Scheinmedikament gab.
Egal, ob man Homöopathika als Placebos betrachtet oder nicht, gehörte Hahnemann damit zu den Pionieren der systematischen Verabreichung von Placebos. Heute ist die Gabe von Pseudomitteln im ärztlichen Alltag weitverbreitet, wie viele Umfragen unter Medizinern aus allen möglichen Ländern inklusive Deutschland belegen. Niedergelassene Doktoren verordnen ihren Patienten entweder Mittel ganz ohne Wirkstoff oder sogenannte Pseudo-Placebos: Präparate, deren Wirkstoffe nach dem Stand der Forschung bei dem betreffenden Kranken wohl nichts bewirken, Vitaminpillen zum Beispiel oder sehr niedrig dosierte Arzneimittel. Klinikärzte verordnen Placebos beispielsweise gegen Schmerzen, Schlaflosigkeit oder depressive Verstimmungen.
Legt man die bereits erwähnte Ãrzteumfrage zur Homöopathie (CGM Gesundheitsmonitor 2010) zugrunde, behandelt auch etwa die Hälfte aller homöopathisch aktiven Mediziner ihre Patienten mit Kügelchen, Tabletten oder Tropfen, obwohl sie nicht unbedingt an deren Wirkung glauben. Jeder achte Therapeut gab sogar an, explizit den Placebo-Effekt nutzen zu wollen. Eine Absicht, die erst einmal weder positiv noch negativ zu bewerten ist. Wie bereits ausführlich in Kapitel 2 beschrieben, können bewusste wie unbewusste Placebo-Effekte erheblich dazu beitragen, Krankheitssymptome zu lindern. Allerdings zieht die Gabe von Placebos in der ärztlichen Praxis immer gewisse ethische und rechtliche Verwicklungen nach sich, die man im Wesentlichen auf ein Problem zurückführen kann: Wer vom Arzt unaufgeklärt ein Placebo verordnet bekommt, wird dadurch getäuscht.
Dass die Situation im Detail noch etwas komplexer ist, zeigt eine immerhin 200-seitige Stellungnahme, in der der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer 2010 den ärztlichen Umgang mit Placebos thematisierte und Empfehlungen dazu abgab. Danach kann es zum Beispiel vertretbar sein, ein Pseudomedikament zu verordnen, wenn keine nachweislich wirksame Arzneimitteltherapie existiert und eine Scheinbehandlung bei der Krankheit des Patienten Aussicht auf Erfolg hat.
Homöopathika als harmlose Placebos?
Ãrzte empfehlen ihren Patienten Homöopathika auch deshalb, weil die Mittel als »sanft« und nebenwirkungsarm gelten. »Selbst wenn es nichts nützt, es wird wohl auch nicht schaden«, scheint dabei oft die Devise zu sein. Allerdings kann sich dadurch bei Kranken ein ohnehin schon weitverbreitetes Misstrauen gegenüber wirksamen Medikamenten verfestigen, denen unterstellt wird, eben nicht sanft, sondern brachial, giftig und gefährlich zu sein. Zudem haben Ãrzte durchaus Alternativen zur Homöopathie, wenn es ihnen vor allem darum geht, ihre Patienten vor Nebenwirkungen zu bewahren. Etwa die Option, erst einmal keine unnötigen Mittel zu verschreiben. Wenn Mediziner auch wegen geringfügiger Beschwerden schnell den Rezeptblock zücken, um ihre Klienten zufriedenzustellen, ist das kritisch zu sehen â egal ob es sich um ein Homöopathikum oder ein konventionelles Medikament handelt. Denn beim Patienten verfestigt sich mit jedem Rezept weiter die Vorstellung, tatsächlich ernsthaft krank und behandlungsbedürftig zu sein â was einen Heilungsprozess nachweislich verzögern kann.
Weitere Nebenwirkungen lassen sich vermeiden, wenn Ãrzte konsequent in Datenbanken schauen, welche Präparate miteinander unerwünschte Wechselwirkungen produzieren. Neuere Studienergebnisse deuten auÃerdem an, dass man künftig vielleicht Placebo-Effekte dafür einsetzen könnte, die Dosierung von Medikamenten zu reduzieren. Bei chronischen Krankheiten, die es oft erfordern, lebenslang Medikamente mit schweren Nebenwirkungen zu schlucken, könnten Mediziner dann einen Teil der echten Arzneimittel gegen
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