Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
ansehen konnte. »Du hast recht.« Er schüttelte unmerklich den Kopf. »Ich sage es dir, wenn du es wirklich wissen willst, Tyannon. Aber das bedeutet, dass wir über … damals sprechen müssen.«
Sie runzelte die Stirn. »Ich hasse es, an Corvis Rebaine zu denken, den Schrecken des Ostens, aber ich habe ihn nicht vergessen. Also sprich.«
»Nun gut. Als ich meinen Feldzug plante, wusste ich nicht genau, wann die Gilden so viel Angst bekamen, dass sie Lorum zum Handeln zwingen würden. Mir war klar, dass ich mich bis nach Denathere durchkämpfen musste …«
»Warum?«, fragte sie rasch, denn dies war nach all der Zeit das einzige Geheimnis, das er ihr niemals verraten hatte. Wonach hatte er in dieser Stadt gesucht, das ihn dazu brachte, die schlimmste taktische Entscheidung seiner Karriere zu treffen und dabei seine Armee zu verlieren?
Wie schon so oft ignorierte er die Frage einfach. »Ich war mir nur nicht ganz sicher, wie ich dorthin kommen würde. Es ist nicht leicht, eine Armee durch feindliches Territorium zu führen, auch wenn es keinen nennenswerten organisierten Widerstand gibt. Ich musste darauf vorbereitet sein, meinen Kurs zu ändern, falls Lorums Streitkräfte sich gesammelt hatten, bevor ich bereit war.«
»Ja?«
»Ich habe deshalb vorsichtshalber zwei Pläne geschmiedet. Zwei Feldzüge, zwei Routen für meine Armeen, um von unserem Sammelpunkt jenseits der Grenze von Imphallion bis nach Denathere zu kommen. Was ich damals vor fast zwei Jahrzehnten tat, entsprach einem dieser Pläne.«
Tyannons Stimme senkte sich zu einem Flüstern, als hätte sich eine Eisschicht in ihrem Hals ausgebreitet. »Willst du damit etwa sagen …?«
Corvis nickte. »Audriss ist dem anderen Plan gefolgt. Irgendwie muss dieser Kerl meine Karten und Pläne von vor zwanzig Jahren in die Finger bekommen haben. Wie er seine Armee nach Denathere gebracht hat, entspricht exakt meinem Plan.«
Tyannon lehnte sich zurück, und eine Gänsehaut lief ihr über Arme und Schultern. »Was wird er demnach als Nächstes tun?«
»Das weiß ich nicht, Tyannon.« Corvis lehnte sich ebenfalls zurück und starrte an die Decke. »Meine Pläne reichten nur bis Denathere. Was er danach tut, ist allein seine Entscheidung.«
Nachdem die Bewohner von Chelenshire ihre Entscheidung getroffen hatten, falls man »Abwarten und Tee trinken« als solche bezeichnen konnte, hielten sie sich daran. So furchteinflößend die Nachrichten von Audriss’ Plünderungen auch sein mochten, war es dennoch durchaus nachvollziehbar und in allen entlegenen Gemeinden die vorherrschende Meinung, dass sie diese Dinge nur am Rande betrafen. Ganz gleich, welche von Imphallions großen Städten als nächste an der Reihe war: Selbst wenn Mecepheum das letzte Ziel des Kriegsfürsten sein mochte, musste das die Menschen in Chelenshire nicht zwangsläufig etwas angehen. Es gab viele Wege von Denathere zu den anderen großen Städten, und Chelenshire lag ziemlich weit von ihnen entfernt. Sicher, sollte die rechtmäßige Regierung des Regenten und der Gilden gestürzt werden, würden die Konsequenzen alle betreffen, aber die Bürger der Ortschaft konnten keine unmittelbare Bedrohung für sich selbst erkennen.
Corvis war dagegen noch lange nicht beruhigt. Die Einzelheiten von Audriss’ Plan oder vielmehr von seinem eigenen Plan ließen ihm keine Ruhe, wie Nackenschmerzen, die er nicht abschütteln konnte. Er hatte nur ein einziges Exemplar seiner Pläne und Strategien für den Krieg angefertigt, den er vor zwei Jahrzehnten geführt hatte. Ein einzelnes Dokument, handschriftlich. Die Vorstellung, dass es in die Hände eines vollkommen Fremden gelangt sein könnte, noch dazu so viele Jahre später, beunruhigte ihn außerordentlich.
Dabei war dies nicht einmal der einzige Grund für seine Sorge. Abgesehen von dem Wie dieser Situation bereitete ihm auch das Warum Kopfzerbrechen. Rein taktisch gesehen war die Eroberung von Denathere kein ausgesprochen kluger Schachzug. Corvis war damals das Risiko nur deshalb eingegangen, weil er ein weit kostbareres Ziel vor Augen hatte als die Stadt, und dafür hatte er mit der Zerschlagung seiner Armeen und dem völligen Scheitern seiner Pläne bezahlt. Jeder, der auch nur im Entferntesten etwas von Kriegsführung verstand, hätte seinen Feldzug, nach einem kurzen Blick auf die Einzelheiten, als Beweis militärischer Unfähigkeit bewerten können. Audriss hatte bereits bewiesen, dass er etwas von Kriegsführung verstand, und er war auch
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