Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
zahllosen Leiden wären gerächt. Das wäre den Verlust seines eigenen Lebens durchaus wert, und er spürte, wie seine Hand vor Eifer zuckte, diese Aufgabe zu erledigen. Zum Teufel, er war nicht einmal ansatzweise überzeugt, dass Lorum tatsächlich Audriss war. Er hatte den Regenten praktisch seit Kindertagen aufgezogen, seine Erziehung in allen militärischen und politischen Fragen überwacht. Er konnte doch nicht so blind gewesen sein, oder? Das hier konnte ein Trick von Rebellen sein, und sie standen nur untätig herum, ließen ihn damit durchkommen – womit auch immer er durchkommen wollte.
Aber Rheah glaubte ihm, und Nathan hatte noch nie erlebt, dass sie sich irrte. Wenn sie Vertrauen bewies, musste er das dann nicht auch?
Selbstverständlich gab es immer ein erstes Mal, und auch jetzt war es nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass sich die unfehlbare Zauberin am Ende bedauerlicherweise doch als fehlbar erwies. Wenn dies der Fall war, dann war Nathan fest entschlossen, den Schrecken des Ostens sterbend in einer Blutlache liegen zu sehen, ungeachtet der Konsequenzen.
Nathaniel Espa starrte weiterhin auf seine Freunde und seine Feinde statt auf die blasse, langfingerige Hand, die sich aus der Dunkelheit hinter ihm auf ihn zubewegte, die aus den Tiefen des Schattens nach ihm griff, sich ausdehnte, weit länger wurde, als jeder menschliche Arm hätte werden können, und sich nach ihm ausstreckte …
Na großartig, dachte Corvis als Erstes. Genau das, was ich brauche. Noch mehr Wälder.
Sein zweiter Gedanke lautete: Wenn das Einzige, was mich an diesem Ort nervt, die Tatsache ist, dass es sich um einen Forst handelt, dann habe ich wirklich allmählich den Verstand verloren.
Der Himmel über ihm brannte rot, es war ein blutiges Leuchteten, das aus allen Richtungen zu kommen schien, denn es gab nichts, was auch nur im Entferntesten einer Sonne ähnelte. Wolken aus blubbernder Feuchtigkeit trieben vorbei, hinterließen Flecken und Striche in der Luft, als bestünde dieser Himmel aus einer festen Oberfläche.
Was, wenn er genauer darüber nachdachte, durchaus möglich sein konnte.
In der Ferne donnerte es, jedenfalls redete Corvis sich ein, es wäre Donner, obwohl die meisten Stürme, die er erlebt hatte, nicht heulten, als würden sie Schmerzen erdulden. Ein heißer Wind wehte durch die Bäume und trieb ihm den Schweiß auf die Haut, der nicht nur heiß und feucht war, sondern auch säuerlich roch, was andeutete, dass es vielleicht auch der Atem von jemandem sein könnte, der zwar sehr weit weg, aber dafür extrem groß war.
Corvis setzte sich in Bewegung. Eine Richtung schien so gut wie die andere zu sein, also marschierte er einfach in jene, in die er gerade blickte.
Es überraschte ihn ein bisschen, dass er seine Rüstung nicht trug, sondern das einfache Wams und die verschlissene Hose, die er am liebsten anzog, wenn er Tyannon im Garten half oder mit seinen Kindern spielte, nachdem seine Pflichten erfüllt waren. Er hoffte, dass dies etwas Gutes zu bedeuten hatte.
Die Bäume wrkten ganz normal: Es waren braune, rissige Stämme mit grünen Blättern, alles etwa in der richtigen Größe. Der Theaghl-Gohlatch war weit unangenehmer gewesen. Die Bäume hier waren in gewisser Weise tröstlich, ein Anker der Normalität in diesem fremdartigen Reich.
Diese Wahrnehmung hielt genau so lange an, wie Corvis, dessen Nackenhaare sich unvermittelt aufrichteten, sich hütete, sich umzudrehen.
Denn aus der Rückseite jedes einzelnen Baumes wuchsen menschliche Gliedmaßen. Arme, Beine und Köpfe, die sich aus der hölzernen Umarmung reckten, Finger, die sich beinah flehentlich spreizten. Jedem Kopf fehlte jedoch das Gesicht, als hätte jemand es einfach vom Schädel geschält. Das Blut strömte aus den freiliegenden Muskeln und Augenhöhlen, die Finger krümmten sich, als Corvis an den Bäumen vorüberging, und die Kiefer waren in stummer Qual weit aufgerissen.
Da erkannte Corvis einige von ihnen, trotz der fehlenden Gesichter. Die große Gestalt da drüben, dieser Hüne von einem Mann mit den zerfetzten Pelzen, die seine Arme bedeckten, konnte nur Grat sein, der Waldläufer aus den Terrakas-Bergen. Und der hier war eindeutig der Wirt. Und da, Sah-di. Und hier, die junge Hure, die sich ihm im Schankraum genähert hatte …
Sie alle waren die Seelen, die Khanda in seinem jahrtausendealten Leben verzehrt hatte, Seelen, die in endloser Qual in dieser winzigen Hölle gefangen waren. Seelen, von denen die
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