Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
»Ja, Jass, ich bin wütend. Aber nicht auf dich, mein Süßer.« Sie blickte hoch, und in ihren Augen loderte mit einem Mal ein Feuer. »Sondern auf die da.«
Bennek runzelte gereizt die Stirn. »Schau mal, Tyannon …«
»Das tue ich ja! Und ich kann nicht glauben, was ich da sehe! Ich kann nicht fassen, dass ihr beide immer noch miteinander streitet! Überall sterben Menschen, und ihr könnt einfach keine Ruhe geben!«
»Tyannon«, erwiderte Jeddeg beschwichtigend, »wir versuchen nur, eine Möglichkeit zu finden …«
»Ihr tut nichts dergleichen!« Sie schrie erneut und stampfte sogar mit dem Fuß auf. »Und was ihr unternehmt, wird ganz sicher keine Lösung bringen! Es geht nicht einmal um die da!« Sie deutete auf die Wachen, die das Schauspiel mit unverhohlenem Grinsen verfolgten. »Sondern um den Preis von Getreide, Handelsrouten oder was auch immer ihr gestern noch diskutiert habt! Hättet ihr meinem Vater den Befehl übertragen, dann hätten wir den Kampf nicht so schnell verloren.«
Die Blicke aus zwei Augenpaaren schienen zu gefrieren, und Tyannon begriff, dass sie ein bisschen zu weit gegangen war.
Noch bevor sie jedoch eine Entschuldigung stammeln oder ehe der Fürst oder der Gildenmeister einen beißenden Kommentar von sich geben konnte, ertönte hinter ihr eine weitere Stimme. »Gibt es ein Problem, edle Herren?«
Tyannon hörte, wie ihr Bruder kreischte, und fühlte, wie er ihre Hand fester umklammerte, sie sah, wie Bennek erbleichte und seine Lippen zu zittern begannen, sah, wie Jeddeg die Augen aufriss und zur Wand zurückwich. Sie wusste, dass sie sich umdrehen, dass sie sich rühren, dass sie irgendetwas tun sollte, war jedoch wie erstarrt. Sie zeigte keinerlei Lebenszeichen bis auf ihre schnellen Atemzüge.
Ein Wachposten links von ihr trat zögernd vor. »Wir … soll heißen, wir wollten gerade einschreiten, Mylord«, erklärte er unbehaglich.
»Natürlich wolltet ihr das. Welch ein Glück, dass ich euch die Mühe erspart habe.«
Der Soldat grinste das zitternde Mädchen an und sah, wie ihre Augen noch größer wurden. Der Kampf ist vorbei! , schienen sie zu schreien, obwohl Tyannons Stimme nach wie vor wie paralysiert war. Warum geht ihr nicht weg?
»Wie ist dein Name, mein Kind?«, fragte die Stimme hinter ihr.
»Tyannon … Tyannon, Mylord.«
»Tyannon.« Der Sprecher schien sich den Namen auf der Zunge zergehen zu lassen, als wollte er einen Makel heraussprechen. »Warum rede ich mit deinem Hinterkopf, mein Kind?«
»Weil … weil ich … in die andere Richtung blicke, Mylord?«
Die meisten Gefangenen und sogar einige Wachsoldaten stöhnten auf vor ungläubigem Schrecken, und der Körper des jungen Mädchens spannte sich in Erwartung eines Hiebes. Doch nach einem Moment der Stille war die einzige Reaktion ein leises Lachen.
Auf das ein ruhiger Befehl folgte. »Dann dreh dich doch um, Tyannon.«
Sie ließ die Schultern sinken, als hätte sie sich dem Schicksal ergeben, das die Götter ihr bestimmt hatten, und gehorchte.
Die Gestalt vor ihr schien einem der Märchen entsprungen zu sein, die sie Jass jeden Abend vorlas, und zwar einem von der düsteren Sorte. Der Mann vor ihr, wenn er überhaupt einer war, war zwar kleiner als seine Handlanger, die Oger, wirkte jedoch im Vergleich zu ihr immer noch riesig und füllte ihr ganzes Blickfeld aus. Die dämonische Rüstung, die seinen Körper von Kopf bis Fuß verhüllte, bestand aus mitternachtsschwarzem Stahl und großen Knochenplatten, die in dem orangefarbenen Licht der Laternen unnatürlich fahl schimmerten. Von den kleinen Knochenstücken an den Schultern hing ein schwerer purpurfarbener Umhang herab, der dieselbe Farbe hatte wie das Banner des Regenten auf den Feldern vor der Stadt. Im Licht der flackernden Laternen tanzte sein Schatten über die Wände, wie von einem verrückten Puppenspieler geführt. Über allem thronte ein Helm aus Knochen, ein Totenschädel, gefasst in eiserne Bänder. Nichts Menschliches drang durch die grimmige Fassade, keine Seele schien aus den klaffenden schwarzen Löchern in der Maske zu spähen.
Das Mädchen nahm verzweifelt all seine Willenskraft zusammen, riss den Blick von der grauenvollen Maske los und ließ ihn stattdessen an der Gestalt hinabwandern. Einen Moment lang betrachtete sie die Kette um den Hals ihres Gegenübers, die unter dem von Knochen bedeckten Brustpanzer verschwand. Vielleicht hing ein Anhänger oder ein Amulett daran, aber Tyannon konnte es nicht sehen. Ihr Blick glitt
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