Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
die bessere Entscheidung gewesen wäre, sich durch die cephiranischen Patrouillen zu schlagen.
So langsam, dass er es zunächst nicht bemerkte, schienen sich die Gänge zu verbreitern, wurde das Echo zusehends lauter. Corvis lenkte seine Aufmerksamkeit von seinen erschöpften Füßen weg und betrachtete seine neue Umgebung. Der Gang war nun erheblich breiter und von Abzweigungen sowie kleinen Seitenkorridoren durchzogen, aus denen gelegentlich eine Bewegung oder das Zischen eines geflüsterten Wortes zu hören war.
Die beiden Menschen schritten stockend durch die Heimstatt der Kobolde.
Immer mehr Ausbuchtungen waren in dem stetig breiter
werdenden Gang zu sehen, und aus den soliden Felsen tauchten Gesichter auf, die fasziniert und hasserfüllt von oben auf die Eindringlinge starrten. Die Kreaturen huschten auf zwei Beinen oder auf allen vieren über Boden, Wände und Decken, während sie ihre missgestalteten Gliedmaßen in den unmöglichsten Winkeln bewegten. Luft und Fels, hell und dunkel, für sie war alles eins. Corvis sah zu, wie ein Gesicht aus einem Stein hervorglitt, um ihn finster zu betrachten, und ihm wurde klar, dass dies eigentlich ihr Zuhause war, dass die Kobolde nicht in dem leeren Raum zwischen der Erde und dem Fels lebten, sondern im Gestein selbst. Das war, mehr noch als ihre groteske Fähigkeit, durch die Felsen zu gleiten, ein verstörender Hinweis auf ihre fremdartige Natur.
Sie glitten durch eine weitere feste Wand, die dicker war als alle, durch die sie bisher gegangen waren. Auf der anderen Seite blieben Corvis und Irrial wie erstarrt stehen, ohne auf die ungeduldigen Aufforderungen ihres Führers zu achten.
Sie befanden sich auf einem Felsvorsprung, der furchteinflößend schmal war, am Rand von etwas, das aussah wie der Schlund der Finsternis. Der Vorsprung hatte weder einen Boden noch Seiten, bis auf den schmalen Grat, auf dem sie standen. Corvis hegte keinerlei Zweifel daran, dass Mecepheum, wenn man es hierhertransportiert hatte, genügend Platz gehabt hätte, um weiterzuwachsen.
Allein die Decke war sichtbar, und diese warf eine Reflexion des schwachen Lichts von Corvis’ Hand zurück. Edelsteine, jedenfalls vermutete er, dass es sich darum handelte, leuchteten in allen möglichen Farben. Die meisten waren weiß oder hellgelb, aber dazwischen funkelten gelegentlich auch tiefrote und dunkelgrüne Steine. Obwohl das magische Licht von Corvis nur sanft glühte, funkelten die Edelsteine wie die Sterne am nächtlichen Firmament.
Unzählige Kobolde krochen in und zwischen ihnen hin und her, wobei sie der Schwerkraft trotzten. Sie hielten gelegentlich inne, um eine ungelenke Verbeugung auszuführen, soweit Corvis das von seinem Standort aus sehen konnte. Das Rauschen in der Höhle, das er zunächst einem entfernten Wasserfall zugeschrieben hatte, entpuppte sich als Gesang, ein Lied, das aus unmenschlichen Kehlen erklang. Hunderte identische Stimmen verwoben sich, und die eine machte da weiter, wo eine andere aufgehört hatte, so dass nicht einmal die Notwendigkeit, zwischendurch Luft zu holen, diesen unendlichen monotonen Gesang unterbrach.
Erst als der Kobold zurückkam, um Irrial zu packen und weiterzuziehen, setzten sie ihren Weg fort und gingen um den irrealen, wundersamen Abgrund herum. Corvis und Irrial fuhren beide mit der rechten Hand an der Wand entlang und hofften, auf diese Weise nicht versehentlich über den Rand des Vorsprungs zu treten, denn sie konnten ihre Aufmerksamkeit nicht von dem falschen Firmament über ihnen losreißen.
Während sie weitergingen, dämmerte Corvis allmählich, dass die Edelsteine nicht nur funkelten wie die Sterne am Nachthimmel, sondern tatsächlich den Stand der Gestirne am Firmament spiegelten. Er erkannte einige Sternkonstellationen, unter anderen die Waage von Ulan sowie den Bogenschützen Kirrestes, der seinen großen Bogen für den nächsten Schuss spannte, welcher dem Mythos zufolge durch alle siebzehn Köpfe der Ryvrik-Hydra fegte. Ein Stück weiter entdeckte er die Körperschlingen des Wurms Anolrach, dessen vergossenes Lebensblut die Ozeane salzig machte.
Corvis war sich nicht sicher, was schlimmer war: der Gedanke, dass die Kobolde diesen Spiegel des Nachthimmels vorsätzlich geschaffen hatten, oder die Möglichkeit, dass die Steine diese Formen und Konstellationen auf natürliche
Weise eingenommen haben könnten. Sein Verstand weigerte sich, auch nur eine der beiden Möglichkeiten ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Dabei war das
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