Die Horde - Die Schlacht von Morthûl
Nerven.
Er hatte begonnen, als sie durch die Tempeltür gekommen waren, und tastete ohne Unterlass wie die Zunge einer betrunkenen, lüsternen Kröte durch seine Gehörgänge. Tief und sonor war er, angesiedelt irgendwo zwischen Choral und Klagelied. Die Sänger bekam der Ork nicht zu Gesicht, und die vielen Echos in dem großen, höhlenartigen Raum hinderten ihn daran, den Ursprung des Gesangs zu entdecken. Zum Glück für die Unbekannten, denn andernfalls hätte der Ork ihnen die Stimmbänder aus den Hälsen gerissen. Gelegentlich legten die Sänger eine kurze Pause ein, und dann hoffte Cræosh, dass endlich Stille einkehrte, aber jedes Mal begann der schreckliche Gesang aufs Neue.
»Wunderschön«, flüsterte Gork.
»Was?« Cræosh wirbelte zu ihm herum. »Wunderschön? Dieser Lärm ?«
»Nein«, hauchte Gork, und sein Gesicht zeigte eine seltsame Verzückung. »Bei jeder Unterbrechung des Gesangs stelle ich mir vor, wie ich den Sängern etwas ins Gesicht schmettere. Es scheint zu helfen.«
Cræosh probierte es aus. Es half tatsächlich, aber nur ein bisschen.
Um sich von dem scheußlichen Geheul abzulenken, konzentrierte sich der Ork wieder auf die Umgebung. Er blieb bei seiner ursprünglichen Einschätzung des Gebäudes als »funktionell«, doch im Innern erwies es sich als etwas opulenter.
Sie standen im Eingang einer großen Kirche mit zahlreichen Kirchenbänken. Dicke steinerne Säulen – verziert mit Darstellungen, die vermutlich von wichtigen Ereignissen aus der menschlichen Mythologie erzählten – stützten eine gewölbte Decke, die etwa dreimal so hoch wie Belrotha groß war – wenn sie ihre normale Größe gehabt hätte. Buntglasfenster schufen Pfützen aus farbigem Licht auf dem Boden, und der Gestank nach Weihrauch, von den Menschen vielleicht für einen Wohlgeruch gehalten, lag in der Luft.
Auf der anderen Seite der Kirche erhob sich ein steinerner Altar auf einem Podium, von Becken flankiert. Das eine enthielt Wasser, das andere Wein oder Nektar, womit es einer dichten Wolke von Taufliegen den Himmel auf Erden bescherte. An der Wand dahinter hing etwas von der Größe eines Wagenrads, das sich nicht entscheiden konnte, ob es eine stilisierte Sonne oder eine Windrose darstellen wollte. Der Ork konnte nicht erkennen, ob das Objekt aus Gold bestand oder nur vergoldet war, aber …
Ohne hinzusehen packte er Gork am Kragen, als der Kobold loslaufen wollte. Gork verlor den Boden unter den Füßen und hing hilflos im Innern seiner Kutte.
»Nein«, sagte Cræosh schlicht.
»Aber …«
»Nein.«
»Cræosh …«
»Nein.«
Der Kobold seufzte. »Du bist ein Mistkerl, Cræosh.«
»Ja.« Der Ork setzte den Kobold wieder auf den Boden und drehte ihn herum, damit sein Blick auf etwas anderes fiel.
Kurze Zeit später kam schließlich jemand, um sie zu begrüßen.
Der Mann war schon etwas älter – zwischen vierzig und fünfzig, schätzte Cræosh –, aber noch gut in Form. Sein langsamer Gang deutete auf Kontemplation hin, nicht auf Gebrechlichkeit. Seine Kutte unterschied sich nicht sehr von denen des Korps, zeigte aber kein schmutziges Braun, sondern die Farbe von Eierschalen. Im Vergleich mit dem Eisengrau seines Haars schien sie blütenweiß zu sein.
»Kann ich euch helfen, Brüder?«, fragte der Mann mit tiefer, und doch sanfter, tröstender Stimme. »Man könnte meinen, ihr hättet euch verirrt.«
»Wir suchen Pater Thomas«, erwiderte Gork und trat einen Schritt vor.
Der ältere Mann nickte. »Ich bin Thomas.«
Ausgezeichnet! Deshalb hatten sie den Tempel als Ausgangspunkt gewählt, davon überzeugt, dass Thomas leichter zu finden sein würde als die anderen. Aber dass sie ihm sofort begegneten, war ein echter Glücksfall.
»Ich bin Bruder Gerald«, sagte der Kobold. »Meine Brüder und ich haben viele Meilen zurückgelegt, um hier bei dir zu sein.«
»Habt ihr das?«, fragte Thomas in einem neutralen Ton.
Gork zögerte. Dieser Mann würde sich nicht so leicht täuschen lassen wie die Wächter am Tor, erst recht nicht, wenn es bei ihrem Gespräch um theologische Dinge ging. Doch dieser Ort eignete sich nicht unbedingt für einen Mord: Es saßen zu viele Gemeindemitglieder auf den Kirchenbänken, blätterten in heiligen Büchern und unterhielten sich leise; hinzu kam der verborgene Chor. Nein, dieses Problem konnte nicht mit Gewalt gelöst werden.
»Ja, Pater. Wir sind …« Thomas würde ihnen das mit den »missgestalteten Mönchen« nicht so schnell abnehmen, aber auch
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