Die Horden der Schattenzone
war ja nicht so gemeint. Also – was hast du?«
Er kam zurück und schüttelte unsicher den Kopf.
»Ich war unter Deck«, eröffnete er ihr.
»Ja, das weiß ich. Und?«
»Ich war bei Siebentag.«
»Dem Kannibalen? Auch das dachte ich mir fast.«
Gerrek holte tief Luft und verdrehte verzweifelt die Augen.
»Burra, er ist nicht mehr da!«
Sie warf einen Brocken von der Größe eines kleinen Holzfasses über die Bordwand, rieb sich die Handflächen an der Rüstung ab und richtete sich auf.
»Natürlich ist er da! Was redest du wieder für dummes Zeug? Du hast gerade noch selbst gesagt, daß du bei ihm warst.«
Gerrek wand sich.
»Dann hast du das falsch verstanden. Oh, warum müßt ihr Amazonen immer jedes Wort so genau nehmen! Ich wollte zu ihm, aber er war nicht in seiner Unterkunft. Er ist weg, Burra, verschwunden!«
»Das ist lächerlich!«
»Wäre es das nur. Ich verstehe ja auch nicht, daß er einfach ausgerissen ist. Ich war mir sicher, Siebentags Freundschaft gewonnen zu haben. Auch wenn er nicht so reden kann wie wir und nur knurrt, spürt ein aufgeweckter Geist wie ich doch, ob er gut oder böse ist.«
»Ein aufgeweckter Geist – du!«
Burra lachte schallend, bis sie sah, daß Gerrek den Verzweiflungstränen nahe war.
»Du kannst ruhig weiterlachen.« jammerte er. »Vielleicht geschieht mir das recht. Ich dachte, ihm beigebracht zu haben, wie er sich unter Menschen zu benehmen hat; daß er uns nicht anfallen und anknabbern darf. Und glaube es oder nicht: Er konnte schon seinen und meinen Namen aussprechen. Er hätte auch noch andere Worte gelernt und…«
Er drehte sich um und schlug die Hände vor den Kopf – eine Geste, die bei seiner langen, spitzen Drachenschnauze reichlich verfehlt wirkte.
»Er war wie ein Freund«, klagte er, »und jetzt… jetzt ist er einfach davon! Ich hätte ihm noch so vieles beibringen können. Aber er wird sich verirren und den Shrouks oder gar den Dämonen selbst in die Arme laufen. Ich bin schuld. Ich…« Er schluckte, nahm die Hände herunter und nickte mit feuchten Augen. »Ich werde ihn suchen gehen!«
»Das wirst du nicht tun!« wehrte Burra entschieden ab. »Hüte dich, Beuteldrache! Wir wollen dich nicht auch noch verlieren! Außerdem hat er sich vielleicht nur versteckt. Alle Amazonen, die nicht Wache zu halten haben, werden nach ihm suchen!«
Und so geschah es, sehr zu Lexas Verdruß. Doch auch ihren Kriegerinnen konnte der Gedanke daran gar nicht behagen, den Wilden irgendwo versteckt in ihrer Nähe zu wissen. Mit seiner hohen Meinung von Siebentag stand Gerrek ziemlich alleine da.
Bald jedoch konnte kein Zweifel daran mehr bestehen, daß der Kannibale aus dem Land der Wilden Männer wahrhaftig von der Luscuma geflohen war.
»Ich werde ihn suchen!« schrie Gerrek. »Und ich bringe ihn hierher zurück – bei den mächtigen Drachen der Vorzeit!«
»Du bleibst hier!« befahl Burra. Doch es war schon zu spät. Mit einem Satz über die Bordwand verabschiedete sich Gerrek, kam auf einer der gegen die Gondel in die Höhe wachsenden Geröllhalde auf, stolperte diese hinunter und rannte geradewegs in die Dunkelschleier hinein, hinweg über tot am Boden liegende Shrouks.
»Gerrek!« schrie Burra.
»Er hört nicht auf dich«, war Lexas spöttische Stimme zu vernehmen. »Da siehst du, was du durch die Freizügigkeit der Sitten erreichst. Siebentag gehört den Zaubermüttern. Du kennst den Willen der Luscuma. Warum also schickst du nicht deine Kriegerinnen aus, um ihn zurückzuholen?«
Als Burra sich zu ihr umwandte und ihr Gesicht sah, da wußte sie, daß Lexa über Guduns und Gormas Verschwinden im Bilde war.
Burra ließ sie stehen und beugte sich über die Bordwand. Hinter ihr hingen die Aasen in den Wanten.
»Weil sie gerade von Luscuma sprach«, sagte Lankohr, »die Bordhexe hat sich noch immer nicht wieder gemeldet. Vielleicht ist sie an ihrer eigenen Verwirrung und vor Angst um das Schiff zugrunde gegangen.«
In diesem Fall nützten alle Aufräumarbeiten nichts mehr. Ohne Luscuma war das Schiff mitsamt seiner Besatzung in der Schattenzone verloren.
Aber daran dachte Burra jetzt gar nicht. Ihre Gedanken und Ängste galten Gudun und Gorma.
Bring auch sie zurück, Gerrek! dachte sie verzweifelt.
Es gab kein Entrinnen. Mythor kam nicht einmal mehr dazu, das Gläserne Schwert zu ziehen, um damit nach den Krallenfingern zu schlagen. Die eiskalte Hand des Dämons schloß sich um die drei Entsetzten und rupfte sie von der Stiefelverschnürung des
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