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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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muß ein Ende gesetzt werden.«

Kapitel 20
    Brazil sah nie fern, weil zu Hause immer seine Mutter den Apparat mit Beschlag belegte. Und in den vielen Bars in Charlotte, wo in allen Ecken auf riesigen Bildschirmen Sportsendungen liefen, verkehrte er so gut wie nie. Also wußte er auch nicht, was die Dreiundzwanzig-Uhr-Nachrichten an diesem Donnerstag gebracht hatten. Niemand hatte ihn angepiept oder anderweitig versucht, ihn zu erreichen. Auf seiner Laufstrecke in Davidson war alles ruhig, als er kurz vor Mitternacht in völliger Dunkelheit sein Pensum absolvierte. Nichts war zu hören, außer dem Rhythmus seines Atems und seiner Schritte.
    Zwar war er stolz auf die wirklich erstaunlichen Nonstop-Homeruns seiner journalistischen Karriere, doch glücklich war er nicht. Andere veröffentlichten große Teile desselben Materials. Webb zum Beispiel. Und wie informativ oder leidenschaftlich ein Beitrag auch sein mochte, in Wirklichkeit war jeder nur auf den Coup aus, wollte mit der Erstmeldung die Nase vorn haben oder die große exklusive Story landen. Brazil hatte in letzter Zeit, um die Wahrheit zu sagen, niemanden aus gestochen. Es sah nur so aus, weil alles, was er eher routinemäßig schrieb, auf der ersten Seite landete, die öffentliche Meinung beeinflußte und einigen Staub aufwirbelte. Also hätte Brazil sich damit zufriedengeben können, für den Rest seiner Tage nur noch Artikel nach diesem Schema zu schreiben und sonst nichts. Irgendwelche Auszeichnungen spielten für ihn keine Rolle. Aber er war Realist. Wenn er nicht die gesamte Konkurrenz schlug - bei Enthüllungsstories, wichtigen Statements und Reports über die kriminelle Szene -würde er sich als Schreiber nicht lange halten können.
    Allerdings konnte er dann vermutlich immer noch Cop werden, womit er in Gedanken wieder einmal bei West war. Und womit er zugleich den festen Boden unter den Füßen verlor und sich in einem undurchdringlichen und schmerzhaften Dickicht verirrte. Je mehr er versuchte, sich daraus zu befreien, desto mehr schmerzte es und desto frustrierter fühlte er sich. Er beschleunigte sein Lauftempo, umrundete Spielfeld und Tore, lief an den offenen Tribünen vorüber und dachte an die meist verlorenen Spiele an kühlen Herbstabenden nach den Vorlesungen und Kursen. Oft war er damals über den frostigen Campus gewandert und hatte versucht, das Erlebnis der Sterne am Himmel in Worte zu fassen, wie noch nie jemand vor ihm. Wie oft war er damals, eingehüllt in ein warmes Kapuzen-Sweatshirt, in die Bibliothek geeilt oder zur Cafeteria, wo er sich in eine Ecke gesetzt hatte, um an einer Semesterarbeit zu schreiben oder ein Gedicht zu verfassen. Auf diesen Wegen ging er bewußt den Pärchen aus dem Weg, die ihm begegneten. Selbst wenn West keine Lust auf ein Tennismatch hatte, hätte sie nicht so barsch sein müssen - es sei denn, sie haßte ihn. Kommt gar nicht in Frage. Ihre Stimme und diese herzlosen Worte im Gedächtnis, rannte er noch schneller, bis seine Lunge fast anfing zu brennen. Seine Schritte griffen weiter aus, der Schweiß hinterließ dunkle Flecken auf seinem Hemd. Was er hier tat, war ein Versuch, der Stimme und der Person, der sie gehörte, davonzulaufen. Wut und Ärger verliehen ihm Flügel. An der Fünfzig-Yard-Linie reduzierte er das Tempo. Die Knie zitterten ihm. Brazil ließ sich in das kühle, feuchte Gras fallen. Keuchend lag er auf dem Rücken. Sein Herz schlug wie wild. So muß es sein, wenn man dem Tode nahe ist, dachte er.
    Ähnliche Gefühle bewegten auch Virginia West. Sie lag im Dunkeln im Bett und preßte sich eine Wärmflasche auf den Leib. Kontraktionen kündeten eine Geburt an, die nicht stattfinden würde. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr war sie allmonatlich von diesen Wehen heimgesucht worden, mal stärker, mal schwächer. Gelegentlich waren die Schmerzen so heftig, daß sie vorzeitig aus der Schule nach Hause gehen, Verabredungen absagen oder unter Ausreden der Arbeit fernbleiben und Unmengen von Midol schlucken mußte. Raines, der Sanitäter, hatte sie mürrisch daheim abgesetzt, und sie hatte schnell vier Tabletten Motrin eingenommen, wofür es allerdings fast schon zu spät war. Hatte Dr. Bourgeois ihr nicht gesagt, sie solle viermal täglich zweihundert Milligramm Ibuprofen einnehmen, und zwar drei Tage vor Einsetzen der Problemphase? So könne sie vorbeugen. Aber Sie müssen auf jeden Fall Schnittwunden oder Nasenbluten vermeiden, Virginia. Allerdings war West wie üblich viel zu beschäftigt

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