Die Hornisse
winkte der Kellnerin und bestellte die nächste Runde. »Ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Ach, komm schon, Virginia. Raus damit.« Er richtete sich ein wenig auf. »Sag schon, was Hammer gemacht hat, als sie das Band sah.«
»Nein«, sagte West.
Von Hammer war tatsächlich nicht viel gekommen. Sie hatte auf ihrem gewohnten Platz am vorderen Ende des Tisches gesessen und kommentarlos auf den Mitsubishi-Bildschirm gestarrt. Das komplette Band hatte sie sich angesehen, zweiundvierzig Minuten lang, und jede Einzelheit auf Brazils langem Weg verfolgt. Was er da mit den Figuren aus dem Milieu beredet hatte, war größtenteils nicht zu verstehen gewesen. West und Hammer hatten sich auf Brazils Körpersprache und seine Gesten konzentriert: Mal deutete er auf etwas, zuckte mit den Schultern, machte Notizen, mal sah er sich prüfend um, und zweimal bückte er sich, um sich die Schnürsenkel zuzubinden. Dann kehrte er zu seinem BMW auf dem All-Right-Parkplatz zurück. Eine Weile hatte lastendes Schweigen geherrscht, bis Chief Hammer sich schließlich die Brille abnahm. »Was war denn das?«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, hatte West geantwortet und hätte Mungo am liebsten umgebracht.
»Und all das hat an dem Tag begonnen, als wir im Presto zu Mittag gegessen haben und Sie einen Mann mit einer Banane in der Hosentasche gesehen haben.« Hammer wollte sichergehen, daß West sich über die Zusammenhänge und Tatsachen klar war. »Ich halte es wirklich nicht für fair, die beiden in einen Zusammenhang zu bringen.«
Hammer war aufgestanden, während West noch wie erstarrt dasaß. »Natürlich ist es fair«, hatte Hammer gesagt, die Hände nun wieder in den Taschen vergraben. »Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf, Virginia.« Sie hatte begonnen, auf und ab zu gehen. »Wie kommt es, daß Mungo Brazil nicht erkannt hat? Schließlich ist Andy doch von früh bis spät da draußen, entweder für den Observer oder mit uns.«
»Mungo arbeitet voll undercover«, hatte West ihr erklärt. »Normalerweise meidet er Plätze, wo er Polizisten oder Reportern begegnen könnte. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, daß er viel liest.«
Hammer hatte genickt. Das leuchtete ein. Außerdem wollte und konnte sie niemandem eingestandene Fehler oder peinliche Pannen wirklich übelnehmen. Das galt für Horgess, Mungo und sogar für West, obwohl gerade sie sich nun wirklich keinen Fehler vorzuwerfen hatte, allerhöchstens in der Auswahl Mungos. »Soll ich es vernichten?« hatte West gefragt, als Hammer das Band aus dem Recorder nahm. »Also, ich wär' nicht unbedingt dafür, denn es ist ein Dokument. Das Material zeigt eine Reihe bekannter Prostituierter. Sugar, Double Fries, Butterfinger, Shooter, Lickety Split, Lemon Drop und Poison.«
»Die sind alle auf dem Band?« hatte Hammer verblüfft von der Tür des Konferenzraums zurückgefragt.
»Sie tauchen alle auf. Man muß nur wissen, wo man zu suchen hat.«
»Gut, wir behalten es«, hatte Hammer beschlossen. Raines lachte so laut, daß West sich über sich selbst ärgerte, weil sie ihm auch noch das Ende der Geschichte erzählt hatte. Sein Kopf lag auf der Tischplatte, das Gesicht von den Händen bedeckt. Sie mußte sich die Stirn mit einer Serviette abtupfen, so warm war ihr. Sie war rot und schwitzte in diesem tropischen Klima. Bald würde auch noch die Band loslärmen. Das Jack Straw's füllte sich langsam. West sah Tommy Axel hereinkommen, dessen Bild sie aus der Zeitung kannte. Er war in männlicher Begleitung. Beide trugen annähernd das gleiche Outfit wie Raines. Sie stellten zur Schau, was sie hatten? Warum sahen die meisten Schwulen nur so gut aus? West fand das nicht fair. Sie waren nicht nur Männer in einer Männerwelt, es war ihnen obendrein noch gelungen, ihren Genen die positiven Komponenten der Frau, Anmut und Schönheit, hinzuzufügen. Natürlich hatten Schwule auch negative Eigenschaften. Sie waren hinterlistig, spielten gern, waren zwanghaft gepflegt, eitel und kaufsüchtig. Aber vielleicht waren diese Merkmale ja gar nicht geschlechtsbedingt. West kam ins Grübeln. Vielleicht gab es so etwas wie Geschlecht ja gar nicht. Vielleicht war die Biologie dem Menschen ja nur ein Vehikel, eine Art Transportmittel. Gab es nicht Länder, wo die Autos das Lenkrad auf der anderen Seite hatten? Ein anderes Geschlecht? Wohl eher nicht. Vielleicht nur andere Autos, und alles andere bestimmte der Fahrer. »Das reicht jetzt«, zischte West
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