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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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gewesen, um sich mit etwas so Prosaischem, ja, Trivialem wie ihrer Gesundheit zu befassen. Niles hatte die immer wiederkehrende Notsituation erkannt und verhielt sich entsprechend. Er legte sich seiner Herrin um Kopf und Nacken, um sie zu wärmen, und freute sich, das gemeinsame Bett mit niemandem sonst teilen zu müssen.
    Chief Judy Hammer wurde von düsteren Vorahnungen heimgesucht. In einen Schutzkittel gehüllt, die Maske vorm Gesicht und Handschuhe über den Fingern, saß sie an Seths Bett in der chirurgischen Intensivstation des Carolina Medical Center. Sein Zustand war ernst. Besserung nicht in Sicht. Hochdosiertes Penicillin, Clyndamizin und Immunglobulin tropfte in seine Venen. Damit sollte der nekrotisierenden Fasziitis, dem Absterben von Gewebe, entgegengewirkt werden. Die NF war die Folge einer selten auftretenden lokalen Infektion, die in eine systemische Infektion mit äußerst dramatischem Verlauf überging. Hammer konnte dabei praktisch zusehen und hatte alles Weitere den Anmerkungen entnommen, die der Facharzt dazu gemacht hatte.
    Irgendwie schien das alles mit ganz normalen ähämolysierenden Streptokokken der Gruppe A und dem Staphylococcus aureus zusammenzuhängen. Hammer verstand die Zusammenhänge zwar nicht, stellte sich aber vor, daß diese mikroskopisch kleinen Bestien ihren Mann bei lebendigem Leibe auffraßen. Seths Blutsauerstoffgehalt war inzwischen unter den Normalwert gesunken, und im Medical Center geriet man langsam in Panik. Für das Pflegepersonal war Seth ein absolut vorrangiger Patient, und die Spezialisten gaben sich bei ihm die Klinke in die Hand. Hammer konnte die zahllosen Ärzte schon nicht mehr auseinanderhalten. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, wenn sie ihren Mann mit seinem schlaffen, fiebergeröteten Gesicht so daliegen sah und durch ihre Maske der Geruch des Todes drang.
    Im Bürgerkrieg hätten die Chirurgen den Zustand ihres Mannes einfach als Gangrän oder Wundbrand bezeichnet. Komplizierte lateinische Begriffe änderten nichts an der Tatsache, daß sich das Gewebe im Bereich einer Wunde schwarz und grün verfärbte und Glieder oder der ganze Körper lebendig verwesten. Die einzigen Behandlungsmöglichkeiten von NF waren Antibiotika und chirurgische Maßnahmen bis hin zur Amputation. Wie Hammer bei ihren Nachforschungen im Internet erfahren hatte, starb etwa ein Drittel der jährlich drei-bis fünfhundert an dieser Infektion erkrankten Patienten in den Vereinigten Staaten. Das waren dreißig Prozent.
    Hammer hatte auf den Websites nichts über diese Krankheit entdecken können, das sie beruhigt oder ihr Hoffnung gemacht hätte. In den letzten Jahren schienen sich die tödlichen Bakterien explosionsartig vermehrt zu haben, wie zum Beispiel in Großbritannien, wo vor kurzem elf Personen gestorben waren. KILLERKÄFER FRISST MEIN GESICHT schrieb der Daily Star sensationsheischend. TÖDLICHE FLEISCHFRESSENDE BAKTERIEN lautete ein anderes Horrorszenario. Jim Henson von den Muppets sei daran gestorben, erfuhr Hammer aus dem Internet. Diese Art der Streptokokken wurde für eine besonders virulente Form des Erregers gehalten, der im 19. Jahrhundert für Scharlach verantwortlich gemacht wurde. In manchen Fällen breitete sich die NF so rasant aus, daß Antibiotika nicht genügend Zeit hatten, ihre Gegenwirkung zu entfalten, und man befürchtete, daß Seth zum jüngsten Fall in dieser Statistik werden könnte. Sein V.I.P.-Status hatte vom Moment seiner Aufnahme an eine aggressive Behandlung sichergestellt, so daß das Problem nicht beim Krankenhaus zu suchen war, sondern in Seths Allgemeinzustand.
    Seth hatte sich ungesund ernährt und war, klinisch gesehen, depressiv. Er konnte auf eine lange Vorgeschichte von Alkoholmißbrauch und arteriosklerotischen Gefäßerkrankungen zurückblicken. Seine Verletzung hatte zu einer offenen Wunde geführt. Dazu kam mit dem Projektil ein nicht zu entfernender Fremdkörper. Nach Dr. Cabels Aussage waren Seths Abwehrkräfte stark reduziert. Er nahm binnen zwei Stunden annähernd ein Kilo Gewicht ab. Das bezog nicht einmal die Gewebeschichten mit ein, die von den Chirurgen scheibenweise bis zum nächsten gesunden, durchbluteten Gewebe entfernt wurden. Doch trotz aller Bemühungen und Stoßgebete verfärbte sich auch dies bald darauf schwarz und grün. Reglos saß Hammer auf ihrem Stuhl und durchlebte noch einmal jedes unfreundliche Wort, das sie je zu ihm gesagt, jede ungeduldige oder ärgerliche Reaktion, die sie ihm

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