Die Hornisse
Raines an.
Sie trank ihr Sierra Nevada aus und nahm das nächste in Angriff. Heute konnte sie sich beruhigt einen anzwitschern. Raines würde fahren.
»Tut mir leid. Tut mir leid.« Er holte noch einmal tief Luft, dann war der Anfall vorüber. »Du siehst aus, als ginge es dir nicht besonders«, sagte er und sah sie mit dem ihm eigenen besorgten Blick an. »Es ist ziemlich heiß hier drinnen.«
West tupfte sich erneut das Gesicht ab. Ihre Kleidung wurde feucht, aber nicht so, wie Raines sich das vielleicht erhofft hätte. Sie empfand eine Schwere in ihren unteren Regionen, und die Göttin der Fruchtbarkeit erinnerte West jeden Monat etwas flüchtiger daran, daß ihre Uhr ablief. Dr. Alice Bourgeois, ihre Gynäkologin, hatte sie wiederholt und nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Probleme in ihrem jetzigen Alter anfangen konnten. Für die Ärztin war es eine Strafe, wenn eine Frau keine Kinder hatte und auch keines unterwegs war. Man sollte nie die Biologie unterschätzen, gehörte zu ihren Standardsätzen.
West und Raines bestellten Cheeseburger mit Pommes Frites und eine neue Runde Drinks. Wieder trocknete sie sich das Gesicht, aber jetzt war ihr kalt. Sie wußte nicht, ob sie überhaupt etwas essen konnte, ganz bestimmt jedoch keine fritierte Gurke mehr. Ihr Blick wanderte von der Band, die noch immer mit dem Aufbau beschäftigt war, zu Gästen an anderen Tischen. Sie schwieg eine Weile und lauschte einem Paar an einem Tisch in der Nähe, das sich in einer fremden Sprache, Deutsch vielleicht, unterhielt. West wurde rührselig.
»Du scheinst dir über irgend etwas Gedanken zu machen«, meinte Raines einfühlsam.
»Erinnerst du dich an die deutschen Touristen, die in Miami ermordet wurden? Und an die Auswirkungen auf den Tourismus?« fragte sie.
Raines als Mann nahm das persönlich. Er hatte die Opfer der Schwarze-Witwe-Morde gesehen oder wenigstens einige von ihnen. Unvorstellbar, daß einem jemand eine Waffe an den Kopf halten und einfach das Hirn wegpusten konnte. Und welche Erniedrigung mußten diese Männer vor dieser Tat über sich ergehen lassen? War denn wirklich erwiesen, daß man ihnen nicht zuerst die Hose heruntergezogen hatte, sie vielleicht vergewaltigt und erst dann besprüht hatte? Schließlich konnte der Mörder ein Kondom benutzt haben. Wer wußte das schon so genau? Und was West jetzt gesagt hatte, verdarb Raines ordentlich die Laune. Nun war auch er wütend und sauer.
»Aha, der Tourismus ist es also«, sagte er, beugte sich vor und ruderte mit den Armen. »Und die Männer, die aus ihren Wagen gezerrt werden, denen man das Hirn rauspustet und denen man Graffiti auf die Eier sprüht, die sind Nebensache!«
Noch einmal wischte sich West über das Gesicht. Aus ihrer Gürteltasche förderte sie eine Avil-Tablette zutage. »Das sind keine Graffiti. Es ist ein Symbol.«
Raines schlug die Beine übereinander. Das Ganze bedrückte ihn. Die Kellnerin servierte das Dinner. Er schob sich ein Pommes-Stäbchen zwischen die Zähne und griff nach der Ketchup-Flasche. »Die Geschichte macht mich krank«, sagte er.
»Sie sollte jeden krank machen.« West konnte kein Essen mehr sehen.
»Was glaubst du, wer der Täter ist?« Er tauchte mehrere Pommes Frites gleichzeitig in den roten Klecks.
»Vielleicht eine Transe.« Kalter Schweiß stand ihr auf der Haut. Haaransatz und Nacken waren tropfnaß, als hätte sie gerade eine Verfolgungsjagd hinter sich. »Wie bitte?« Raines sah sie an.
»Ein Transvestit. Die eine Nacht Frau, die nächste ein Mann, je nach Laune«, sagte sie.
»Ach so, wie du.« Er streckte die Hand nach der Mayonnaise aus. »Oh, verdammt.« West schob ihren Teller von sich. »Scheint bei mir jeden Moment loszugehen.«
Die ersten Akkorde der Elektrogitarren schrillten in ihre Ohren, Schlagstöcke folgten mit hartem Beat und donnernden Rhythmen. Axel schlang seinen Fuß um Jons Knöchel und dachte wohl zum hundertsten Mal an diesem Tag an Brazil.
Auch Packer dachte an Brazil, als er Dufus, das kleine, zappelnde Fellknäuel, zu Hintertür hinaustrug. Dufus sollte sich daran gewöhnen, immer am selben Baum das Bein zu heben, einem japanischen Zierahorn. So würde er dann seine eigene Duftmarke immer wiederfinden. Und dabei durfte es keine Rolle spielen, daß der Baum im hintersten Teil des Gartens stand und es gerade zu regnen begonnen hatte. Packer ließ den schielenden Hund seiner Frau immer auf dieselbe kahle Stelle an derselben knorrigen Wurzel hinunter. Er war ein bißchen
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