Die Hornisse
mit der schleppenden Stimme. Diesmal hatte er sie live in der Leitung. Die perverse Schnalle hatte mal wieder Sex mit ihm und atmete schwer. Auch diesmal stellte sie keine Fragen. »Ich haaalte diiich gaaanz fest, und du berührst mich mit deiner Zunge. Sie gleiiitet.« Sie schnaufte es mit einem so tiefen Ton, daß Brazil an die Psycho-Shows denken mußte, die er sich als Kind manchmal angesehen hatte.
»Sie sind ja krank.« Er knallte den Hörer auf die Gabel. Vor dem Spiegel über der Kommode bürstete er sich das Haar aus den Augen. Es wurde zu lang und fing an, ihn wirklich zu stören. Sonnengebleichte Strähnen glänzten im Licht. Für ihn hatte es immer nur einen kurzen oder etwas weniger kurzen Haarschnitt gegeben. Er schob eine widerspenstige Strähne hinter das Ohr, als er plötzlich das Spiegelbild seiner Mutter entdeckte, die wie eine rasende Furie hinter ihm aufgetaucht war, fett und betrunken. »Wo bist du gewesen?« kreischte sie und versuchte, ihm mit dem Handrücken ins Gesicht zu schlagen.
Brazil hob den Arm und konnte den Schlag gerade noch abwehren. Er drehte sich um und packte seine Mutter sanft und fest zugleich an beiden Handgelenken. Es war die sich stets wiederholende alte Szenerie, ein endloses, schmerzliches Spiel.
»Ruhig, ganz ruhig«, sagte er, während er die betrunkene Frau zum Bett führte und niedersetzte.
Muriel Brazil fing an zu weinen und schaukelte mit dem Oberkörper vor und zurück. »Geh nicht weg«, lallte sie. »Laß mich nicht allein, Andy. Bitte, oh. Biiitte.«
Brazil warf einen Blick auf seine Uhr. Ängstlich sah er zum Fenster, als fürchte er, daß West sie durch die herabgelassene Jalousie beobachten und hinter das schreckliche Geheimnis kommen könnte, das ihn schon sein Leben lang begleitete.
»Mom, ich hole dir deine Medizin, okay?« sagte er. »Sieh noch ein bißchen fern und geh dann ins Bett. Ich bin bald zurück.« Nichts war okay. Mrs. Brazil jammerte, schaukelte und schrie ganz fürchterlich. »Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid! Weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Andiiii!«
West hatte nicht alles mit angehört, aber immerhin etwas, denn sie hatte die Scheiben heruntergekurbelt, um zu rauchen. Sie vermutete, daß Brazil mit einer Freundin zusammenlebte und daß es da eine Auseinandersetzung gab. West schüttelte den Kopf und ließ die Kippe auf den unkrautüberwucherten Schotterweg fallen. Wie konnte jemand nur auf die Idee kommen, direkt nach dem College und den Jahren, die man mit Zimmergenossen zugebracht hatte, sofort wieder mit einem anderen Menschen zusammenzuziehen? Und wofür? Als sie losfuhren, stellte sie Brazil keine Fragen. Was immer dieser Reporter ihr über sein Leben erzählen würde, es interessierte sie nicht. Sie fuhren in die Stadt mit ihrer erleuchteten Skyline zurück, jener ehrgeizigen Skulptur, jenem Denkmal der Bankgeschäfte und des käuflichen Sex. Der Gedanke ging ihr oft durch den Kopf. Hammer beklagte die Zustände jeden Tag aufs neue. Wenn West ihre Vorgesetzte durch die Stadt chauffierte, sah Hammer aus dem Fenster, deutete mit dem Zeigefinger auf diese oder jene Adresse und ließ sich über die Geschäftsleute hinter ihren riesigen Glasfassaden aus. Sie waren es, die entschieden, was in die Zeitung kam und was nicht, welche Verbrechen tatsächlich aufgeklärt wurden und wer als nächster zum Bürgermeister gewählt werden würde. Hammer schimpfte über die reiche Bagage, die weit draußen vor den Toren der Stadt wohnte, aber darüber bestimmte, ob die Polizei eine Fahrradeinheit benötigte oder Laptops oder andere Pistolen. Hatten diese Reichen vor Jahren nicht die Anschaffung neuer Uniformen beschlossen und den Zusammenschluß mit der Polizei des Mecklenburg County. Hammers Ansicht nach war jede einzelne dieser Entscheidungen kurzsichtig gewesen, ausschließlich auf wirtschaftlichen Überlegungen basierend. Im stillen stimmte West ihr uneingeschränkt zu, während sie mit Brazil am riesigen neuen Stadion vorüberfuhr, in dem David Copperfield gerade seine magischen Kunststücke vorführte. Die Parkdecks quollen über. Brazil war merkwürdig niedergeschlagen und machte sich nicht eine Notiz. West sah neugierig zu ihm hinüber, während der Polizeifunk ungeschmückt die primitiven Verbrechen dieser modernen Stadt meldete. Im Hintergrund spielte das Radio Elton John.
»An alle Einheiten im betroffenen Bereich«, kam es aus der Einsatzzentrale. »Einbruch in der East Trade Street, Vierhunderter-Block.« West gab
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