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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Gedanken kommt, Sie seien ein Cop. Ich will nicht, daß irgendwer Sie für meinen Partner hält. Und eigentlich will ich das Ganze hier nicht, kapiert?«
    Der letzte Anstrich von Brazils Haus lag so lange zurück, daß seine Farbe nicht mehr zu erkennen war. Vielleicht war er einmal blaßgelb gewesen, vielleicht aber auch eierschalenfarben oder weiß. Jetzt allerdings blätterte er vorwiegend in Grau von den Wänden, und die Fassade erinnerte an eine bemitleidenswerte alte Frau mit Hautproblemen. In der Auffahrt parkte ein rostender weißer Cadillac. West hatte den Eindruck, daß, wer auch immer hier wohnte, weder Lust noch Geld noch Zeit für Reparaturen und Gartenarbeit aufbringen wollte. Brazil stieg wütend aus und raffte seine Siebensachen zusammen. Fast war er versucht, dieser Ziege von Deputy Chief zu sagen: Hauen Sie verdammt noch mal ab, und lassen Sie sich hier nie wieder blicken. Aber sein BMW stand noch in Charlotte, und das würde ihn vor ein Problem stellen. Er beugte sich hinunter und sah sie an. »Mein Vater war Cop.« Damit knallte er die Tür zu.
    West ist der Prototyp einer ranghohen Polizistin, dachte Brazil auf dem Weg zum Haus, mit allen Merkmalen eines Machtmenschen. Es ist ihr scheißegal, ob einer vielleicht ihre Hilfe braucht, um einen Einstieg zu schaffen. Frauen können da besonders schlimm sein. Es scheint, als wollten sie jeden daran hindern, seine Sache gut zu machen, weil auch zu ihnen am Anfang niemand nett gewesen ist. Vielleicht wollen sie allen und jedem etwas heimzahlen und schikanieren deswegen unschuldige Jungen, die sie nicht einmal kennen. Brazil stellte sich West vorne am Netz vor, wenn er zum finalen Passierschlag ausholte. Vielleicht konnte ihm ja einmal ein As gegen sie gelingen.
    Er schloß die Tür des Hauses auf, in dem er sein Leben lang gewohnt hatte. Während er schon das Uniformhemd aufknöpfte und sich umsah, wurde er sich plötzlich der düsteren, deprimierenden Atmosphäre dieses Wohnzimmers mit seinen billigen Möbeln und dem fleckigen Teppichboden bewußt. Volle Aschenbecher und schmutziges Geschirr standen überall herum. Aus dem Radio tönte Gospelmusik. George Beverly Shea stimmte zum tausendsten Mal krächzend How Great Thou Art an. Ungeduldig ging Brazil zur alten Stereoanlage hinüber und schaltete sie aus. »Mom?« rief er.
    Er fing an aufzuräumen und den ganzen Kram in die nicht weniger unordentliche alte Küche zu schaffen, wo Milch, Saft und Hüttenkäse draußen liegen geblieben waren. Offenbar hatte sich niemand die Mühe gemacht, zu putzen oder die leere Viertelliterflasche von Bowman's billigem Wodka etwas tiefer im Abfall zu verbergen. Brazil packte das Geschirr zusammen und weichte es in heißem, schäumendem Seifenwasser ein. Frustriert zog er das Hemd aus der Hose und öffnete die Gürtelschnalle. Er sah auf sein glänzendes Namensschild hinunter und spielte an der Pfeife und der Kette, an der sie hing. Für einen Augenblick fühlte er eine Traurigkeit in sich aufsteigen, für die er keinen Namen hatte. »Mom?« rief er erneut. »Wo bist du?«
    Er ging in die Diele und schloß mit dem einzigen existierenden Schlüssel die Tür auf, die zu seinem kleinen Zimmer führte. Hier war es sauber und aufgeräumt. Auf einem Tisch mit Kunststoffplatte stand sein Computer. In Wandregalen und auf Möbelstücken standen aufgereiht Dutzende von Tennistrophäen, Sportauszeichnungen und Medaillen. Das einfache und anspruchslose Zimmer eines komplizierten Menschen: Hunderte von Büchern gehörten dazu. Sorgfältig hängte er die Uniform auf und nahm eine helle Baumwollhose und ein Hemd aus Jeansstoff vom Kleiderbügel. Hinter der Tür hing eine alte, lederne Bomberjacke. Es war ein extra weites Stück und so abgeschabt, daß es aus grauer Vorzeit zu stammen schien. Obgleich es warm draußen war, zog er sie an. »Mom!« schrie Brazil jetzt laut.
    Der Anrufbeantworter neben seinem Bett blinkte, und er drückte auf den Wiedergabeknopf. Die erste Nachricht war von der Bank, die sein Gehaltskonto führte. Ungeduldig drückte er erneut auf den Knopf. Bei den nächsten drei Anrufen war gleich wieder aufgelegt worden. Die letzte Nachricht kam von Axel. Er klimperte auf der Gitarre und sang >Hootie and the Blowfish< dazu. »Ich möchte nur mit dir Zusammensein... He! Andy, ich bin's, Axel. Axel-ohne-Axt-in-der-Hand. Wie wär's mit einem Abendessen? Bei Jack Straw's...?«
    Genervt schaltete Brazil den Anrufbeantworter aus. Da klingelte das Telefon. Es war die Anruferin

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