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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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sie ihn von der Streife fernhielt, desto besser. Ein winziges Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie einstieg. »Wir fahren erst mal zu Ihnen, damit Sie sich umziehen können«, sagte sie schroff.
    Eine Zeitlang schwiegen beide. Auf dem Scanner blinkten Lichter, und die Stimmen von Einsatzleitern und Cops schossen durch den Funk wie Rollerbladers. Das MDT oder mobile Datenterminal piepste, wenn Gespräche übermittelt oder Adressen und schriftliche Mitteilungen auf dem Bildschirm angezeigt wurden. Als West und Brazil durch die Innenstadt fuhren, hatte der Stoßverkehr seinen Höhepunkt erreicht. Es sah nach Regen aus. Brazil starrte aus dem Seitenfenster. Er kam sich dumm und ungerecht behandelt vor, als er die Polizeikrawatte lockerte und den Kragenknopf öffnete.
    »Wie lange sind Sie schon beim Observer?« fragte West. Sie spürte einen Druck auf der Brust wie von einer kugelsicheren Weste. Aber sie trug keine. Etwas anderes beengte sie. Ein bißchen bereute sie diese Fahrt.
    »Ein Jahr«, antwortete Brazil wütend. Er fragte sich, ob Deputy Chief West ihn jemals wieder mitnehmen würde.
    »Wie kommt es, daß ich bisher noch nie von Ihnen gehört habe?« fragte sie.
    »Den Job mit den Polizeiberichten habe ich erst nach Abschluß der Academy bekommen. Das war so abgemacht.«
    »Was war das für eine Abmachung?«
    »Meine eigene.« Noch immer starrte Brazil mürrisch aus dem Fenster.
    Sie versuchte, die Fahrspur zu wechseln, doch der Trottel neben ihr ließ sie nicht einscheren. »Gleichfalls, Mistkerl«, gestikulierte sie wütend in dessen Richtung. Beim Stop an einer Ampel sah sie Brazil an. »Was meinen Sie mit Abmachung?«
    »Ich wollte den Polizeijob und sagte ihnen, es würde sich für sie auszahlen.« »Und was soll das bedeuten?«
    »Ich will die Cops kennenlernen. Damit ich über sie schreiben kann. Und zwar korrekt und realistisch.«
    West glaubte ihm nicht. Reporter redeten immer solches Blech und raspelten Süßholz, wie alle anderen auch. Im Weiterfahren holte sie eine Zigarette heraus und zündete sie an.
    »Wenn Sie schon so neugierig auf uns sind, warum sind Sie dann kein richtiger Cop geworden?« fragte sie herausfordernd.
    »Ich bin Schriftsteller«, sagte Brazil schlicht, als spreche er von seiner Rasse, Religion und oder Herkunft.
    »Und wir alle wissen, daß Cops nicht schreiben können«, gab West zurück und blies den Rauch aus. »Nicht einmal lesen können sie, höchstens wenn Bilder dabei sind.«
    »Bilder sind auch dabei.« Sie hob die Arme und lachte. »Ach ja?« Brazil schwieg.
    »Warum leben Sie eigentlich in diesem gottverlassenen Davidson?« »Ich bin dort zur Schule gegangen.« »Vermutlich sind Sie ziemlich clever.« »Ich komme zurecht«, gab er zurück.
    Die belebte Crown Victoria ging in die Main Street über, die ihrem Namen als Hauptstraße dieses reizvollen CollegeStädtchens alle Ehre machte. Sie war gesäumt von eleganten, oft efeubewachsenen Fachwerk- oder Backsteinhäusern mit großzügigen Veranden und Hollywood-Schaukeln. Auch West war außerhalb von Charlotte aufgewachsen, allerdings auf einer anderen Seite, wo überwiegend roter Lehmboden und endlose Felder das Bild bestimmten. Den Besuch eines Colleges wie Davidson hatte sie sich nicht leisten können, außerdem hätten ihre Abschlußnoten an der High School wohl kaum jemanden positiv beeindruckt. Brazils College rangierte in der Kategorie von Princeton und ähnlichen, und die kannte West nur vom Hörensagen.
    »Da wir gerade beim Thema sind«, sagte sie, »ich erinnere mich an keine Ihrer Polizeireportagen.«
    »Es ist heute mein erster Tag in der Redaktion.« Sie konnte ihre Ungehaltenheit über das, was man ihr für diesen Abend aufgehalst hatte, kaum noch unterdrücken. Ein Hund lief bellend hinter ihrem Wagen her, und plötzlich setzte heftiger Regen ein.
    »Was haben Sie im letzten Jahr denn sonst gemacht?« fragte sie weiter.
    »Das TV-Magazin«, antwortete Brazil. »Jede Menge Überstunden, jede Menge Stories, die niemand wollte.« Er zeigte nach vorn und löste seinen Sicherheitsgurt. »Da.«
    »Sie bleiben angeschnallt, bis wir anhalten. Regel Nummer eins.« West bog in eine ausgefahrene Schotterauffahrt. »Warum soll ich mich umziehen? Ich hab das Recht.« Brazil verschluckte den Rest des Satzes.
    »Leute in Ihrem Outfit dienen hier draußen als Schießscheibe«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Regel Nummer zwei: Sie können das nicht bestimmen. Nicht bei mir. Ich will nicht, daß irgendwer auf den

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