Die Hornisse
Personen saßen darin. Der Fahrer beobachtete sie im Rückspiegel. »Wetten, daß das ein gestohlenes Fahrzeug ist«, verkündete West. Sie gab das Kennzeichen in das MDT ein. Kurz darauf piepste es, als habe sie an einem einarmigen Banditen gewonnen. Sie warf einen Blick aufs Display und schaltete das Blaulicht ein. Der Toyota vor ihnen schoß davon. »Mist!« rief sie ihm nach.
Nun ging die Verfolgungsjagd erst richtig los. West mußte das Auto wie ein Rennfahrer steuern, gleichzeitig mit Zigarette und Kaffee jonglieren und sich das Mikro schnappen. Brazil wußte nicht, wie er ihr helfen sollte. Das war das Abenteuer seines Lebens. »Hier 700!« schrie West ins Mikrofon. »Verfolge ein gestohlenes Fahrzeug!«
»Ich höre, 700«, kam es aus dem Funkgerät. »Sprechen Sie.«
»Ich fahre in nördlicher Richtung auf der Pine und biege jetzt nach links in die Siebte ein. Fahrzeugbeschreibung folgt.« Brazil konnte sich kaum zurückhalten. Warum überholte sie nicht und schnitt dem Wagen den Weg ab? Der Toyota war doch nur ein Sechsventiler. Was würde der fahren?
»Schalten Sie die Sirene ein«, rief West ihm unter dem Aufheulen des Motors zu.
Das hatte man Brazil in der Academy nicht beigebracht. Er schnallte sich los und tastete unter dem Armaturenbrett herum, an der Lenksäule und an Wests Knien und lag praktisch in ihrem Schoß, als er einen Knopf fand, der sich vielversprechend anfühlte. Er drückte drauf, während sie weiter in rasender Fahrt die Straße runterheizten. Mit einem Knall sprang die Heckklappe auf. Im selben Moment schoß Wests Wagen dem Toyota hinterher über eine Querrinne, und aus dem Kofferraum stoben Ausrüstung für die Tatortsicherung, ein Regenmantel, eine Taschenlampe mit gewölbtem Reflektor und Leuchtkugeln, die sich hinter ihnen auf der Fahrbahn verteilten. West konnte es nicht fassen, als sie im Rückspiegel ihre Karriere in den Auspuffdünsten davonfedern sah. Als das Blaulicht ausging, saß Brazil wie erstarrt. Sie bremsten ab, fuhren langsam auf den Seitenstreifen und hielten. West sah auf ihren Beifahrer. »Tut mir leid«, sagte Brazil.
Kapitel 3
Die nächsten eineinhalb Stunden sprach West kein Wort mehr. Im Schneckentempo fuhren sie die Straße zurück, um Polizeiausrüstung einzusammeln, die aus dem Kofferraum geflogen war. Die Taschenlampe war ein Haufen blauer Kunststoffscherben, die Leuchtgeschosse platte Papphülsen, aus denen eine gefährliche Flüssigkeit sickerte. Die PolaroidKamera für Tatortaufnahmen würde keine Bilder mehr schießen. Der Regenmantel befand sich viele Kilometer weiter, verhakt im Fahrgestell eines Kombi nahe dem Auspuff, wo er jeden Moment Feuer zu fangen drohte. West und Brazil fuhren, hielten an, sammelten ein und fuhren weiter. West war so wütend, daß sie nicht wagte zu sprechen. Bis jetzt waren zwei Streifenwagen an ihnen vorübergefahren. Für sie gab es nicht den geringsten Zweifel, daß bereits die gesamte Schicht, die von vier Uhr bis Mitternacht Dienst hatte, genau wußte, was passiert war und wahrscheinlich dachte, daß West auf den Knopf gedrückt hatte, weil sie ja noch nie zuvor eine Verfolgung unternommen hatte. Bis zum heutigen Abend war sie allgemein respektiert worden. Die ganze Mannschaft hatte sie bewundert. Sie warf Brazil einen haßerfüllten Blick zu. Der hatte das Starterkabel wiedergefunden und verstaute es gerade neben dem Reservereifen, der als einziges nicht das Weite gesucht hatte, weil er festgeschraubt war. »Hören Sie«, sagte Brazil plötzlich und sah sie im Schein einer Straßenlaterne von der Seite an. »Ich habe das nicht mit Absicht gemacht. Was kann ich denn sonst noch sagen?« West ging zum Wagen zurück, und Brazil glaubte einen Augenblick, sie würde ohne ihn davonfahren, ihn hier allein der Gefahr aussetzen, von einem Dealer oder einer Nutte, die eigentlich ein Mann war, ermordet zu werden. Vielleicht aber dachte West ja auch selbst an die möglichen Folgen. Sie wartete, daß er einstieg. Er schloß die Tür und zog sich den Sicherheitsgurt über die Brust. Das Funkgerät war noch immer eingeschaltet, und er hoffte, daß sie schnell etwas anderes zu tun bekamen, damit er seinen Fehler wiedergutmachen konnte.
»Ich konnte mich schließlich in Ihrem Wagen nicht so genau auskennen«, sagte er ruhig und in vernünftigem Ton. »Der Crown Vic I, den ich bei der Academy gefahren habe, war älter als der hier. Und wir haben nichts über die Benutzung des Blaulichts gelernt...« Sie schaltete und fuhr los.
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