Die Hornisse
Krawatte der Marke Countess Mara. Er hatte graumeliertes lockiges Haar und ein gebräuntes Gesicht, das vielleicht einmal attraktiv gewesen war. Jetzt allerdings war davon nichts mehr festzustellen. Hammer entdeckte keinen Schmuck, doch sie war überzeugt, was immer dieser Mann besessen haben mochte, war nicht billig gewesen. Sie hatte ein Gespür für Wohlhabenheit.
»Gibt es einen Ausweis?« fragte Hammer Dr. Odom.
»Blair Mauney der Dritte, fünfundvierzig Jahre, aus Asheville«, antwortete er und machte Fotos von dieser widerlichen Sanduhr, die in grellem Orange auf die Genitalien des Opfers gesprüht war. Dr. Odom sah kurz zu Hammer auf. »Wie viele noch?« fragte er in einem barschen Ton, als wolle er sie dafür verantwortlich machen.
»Was ist mit Patronenhülsen?« fragte West.
Detective Brewster kauerte am Boden und tastete im Abfall unter einem Dornengestrüpp. »Drei bis jetzt«, antwortete er »Sieht aus wie die anderen Fälle.«
»Großer Gott«, sagte Dr. Odom.
Inzwischen verfolgten ihn diese Bilder regelrecht. Immer häufiger versetzte er sich in Gedanken in die Opfer. Er stellte sich vor, wie er sich in einer fremden Stadt verfuhr, in der er sich zu einer Konferenz aufhielt. Er malte sich aus, wie ihn ein Monster plötzlich an einen Ort wie diesen verschleppte, aus dem Wagen zerrte und ihm für eine Brieftasche, eine Uhr, einen Ring einfach das Hirn wegpustete. Dr. Odom sah die Angst in den Augen der Opfer, wenn sie um ihr Leben flehten, während die riesige .45er schon schußbereit auf sie gerichtet war. Dr. Odom war sicher, daß der Kot und Urin in der Unterhose nicht erst postmortem ausgetreten waren. Ganz sicher nicht. Die ermordeten Geschäftsleute hatten nicht erst die Kontrolle über Darm und Blase verloren, während sie schon verbluteten und das Leben bereits aus ihnen wich. Die Männer mußten sich in Todesängsten befunden haben, mit Panik im Blick wie Espenlaub gezittert und sich dabei unwillkürlich entleert haben. Adrenalin mußte ihnen ins Blut geschossen sein und sie stimuliert haben - zur Gegenwehr oder zur Flucht. Doch zu beidem war es nicht mehr gekommen. Das Herz schlug Dr. Odom bis zum Hals. Wieder einmal mußte er einen schwarzen Leichensack entfalten.
Der Warnton der Tür- und Lichtkontrolle war immer noch nicht ausgeschaltet, als West das Innere des Lincoln ausleuchtete. Da lag der Doggie Bag von Morton's, den Inhalt des Aktenkoffers und der Reisetasche hatte der Täter auf dem Rücksitz verstreut. Auf dem Teppich im Fußraum lagen Visitenkarten der US Bank. Sie beugte sich hinunter. Blair Mauney III, derselbe Name, den Brewster auf dem Führerschein entdeckt hatte. West zog ein Paar Gummihandschuhe aus der Gesäßtasche.
Sie war so konzentriert, daß sie niemanden um sich herum mehr wahrnahm, auch den Abschleppwagen nicht, der langsam heranrollte, um den Lincoln zur genaueren kriminaltechnischen Untersuchung ins Police Department zu bringen. West hatte schon seit Jahren nichts mehr mit der Spurensicherung zu tun gehabt, aber auf diesem Gebiet war sie einmal gut gewesen. Sie hatte auch jetzt vor, hellwach, akribisch genau und dabei intuitiv vorzugehen, aber sie tat es hier mit einem unguten Gefühl angesichts des Durcheinanders, das der Killer hinterlassen hatte. Sie wollte möglichst keine Spuren verwischen, nahm daher vorsichtig nur an einer Ecke ein Flugticket der US Air hoch und schlug es auf dem Autositz auf. Sie ahnte Schlimmes.
Mauney war am selben Tag um siebzehn Uhr dreißig, von Asheville kommend, auf dem Charlotte Douglas International Airport gelandet. Der Rückflug am nächsten Nachmittag sollte allerdings nicht nach Asheville gehen, sondern nach Miami, und von dort aus nach Grand Cayman, das zu den Westindischen Inseln gehörte. Wests Spannung nahm zu, als sie aufmerksam weiterblätterte. Der Rückflug von Grand Cayman nach Miami, mit einem Zwischenaufenthalt von sechs Stunden, war für Mittwoch gebucht. Dann sollte es wieder nach Charlotte und schließlich nach Asheville zurückgehen. So verwirrend das aussah, hatte es wohl nicht direkt mit dem Mord an Mauney zu tun, wies aber möglicherweise auf ein anderes Verbrechen hin, in das er verwickelt gewesen war.
Das war die bittere Ironie solcher Fälle, mußte West unweigerlich denken. Der Tod verriet sie alle, die Drogensüchtigen und Trinker, die Menschen mit homo- und oder heterosexuellen Affären, solche die gern peitschten oder sich peitschen ließen oder sich mit einer Schlinge und Flaschenzug
Weitere Kostenlose Bücher