Die Hornisse
sie ein, als wäre eine Nachrichtenbombe hochgegangen. Brazil machte das angst. Er war auf eine Weise verunsichert und geniert, die ihm fremd war. »Nun wissen Sie, wie das ist«, sagte West und schnappte nach Luft. Grellgelbes Absperrband war von den Bäumen bis zur Straße gespannt. Endlosschrift in schwarzen Großbuchstaben verkündete:
VORSICHT TATORT - BETRETEN VERBOTEN.
Das Band hielt Reporter und Schaulustige von dem Lincoln fern und dem sinnlosen Tod, der dort stattgefunden hatte. Innerhalb der Absperrung stand mit laufendem Motor ein Krankenwagen. Überall blitzten die Stablampen der Cops und Detectives. Leuchtkugeln erhellten die Szene für die Videoaufzeichnung. Techniker bereiteten den Lincoln für den Abtransport zur Spurenauswertung im Hauptquartier vor.
Brazil war so sehr damit beschäftigt, all das in sich aufzunehmen und zu testen, wie nah man ihn wohl heranlassen würde, daß er Chief Hammer erst bemerkte, als er fast mit ihr zusammenstieß. »Entschuldigung«, sagte er zu der Frau im Kostüm. Man sah ihr die Anspannung an. Sie zog West gleich zur Seite. Hammer, nicht mehr ganz jung, hatte ein hübsches, scharfgeschnittenes Gesicht. Brazil registrierte ihr ergrauendes, kurz geschnittenes Haar, ihre eher kleine Gestalt und die straffe Figur in allen Einzelheiten. Er war dem Chief noch nicht persönlich begegnet, erinnerte sich aber gleich, sie schon im Fernsehen und auf Fotos gesehen zu haben. Er starrte sie unverhohlen, aber ehrfurchtsvoll an. Für diese Frau könnte er ins Schwärmen geraten. In dem Moment drehte sich West um und wies mit ausgestrecktem Finger auf ihn, als wäre er ein Hund, dem sie »Platz!« bedeuten wollte. »Sie bleiben, wo Sie sind«, befahl sie scharf.
Brazil hatte zwar nichts anderes erwartet, aber erfreut war er nicht. Er hob an zu protestieren, aber niemanden kümmerte es. Hammer und West duckten sich unter der Absperrung hindurch. Ein Cop sah Brazil warnend an für den Fall, daß er auf die Idee kommen sollte, den beiden zu folgen. Brazil sah, wie sie stehenblieben, um etwas auf dem alten, rissigen Asphalt zu begutachten. Blutige Schleifspuren glitzerten im Lichtstrahl von Wests Taschenlampe. Sie kamen aus einer schmierigen Lache wenige Zentimeter vor der offenen Wagentür. West glaubte zu wissen, was passiert war. »Genau hier ist auf ihn geschossen worden«, sagte sie zu Hammer. »Und hier ist er auch gestürzt.« Sie deutete auf die Blutlache. »Hier ist er mit dem Kopf aufgeschlagen. Man hat ihn an den Füßen fortgeschleift.«
Das Blut fing an zu gerinnen. Hammer spürte die Hitze der flackernden Lichter, die die Szene erhellten, die Nacht und das Grauen, das sich dahinter verbarg. Sie roch den Tod. Das hatte sie schon in ihrem ersten Jahr gelernt. Sie hatte eine Nase dafür. Blut zersetzte sich schnell, wurde an den Rändern dünnflüssig und innen dicklich. Sein Geruch war eine eigenartige Mischung aus Süße und Fäulnis. Die Spur führte zu ein paar mit Schlingpflanzen und Flechten überwucherten Kiefern und Pappeln. Unkraut bedeckte den Boden.
Das Opfer schien ein Mann in mittleren Jahren. Es trug einen von der Reise zerknitterten khakifarbenen Baumwollanzug. Die Hose und der Jockey-Slip hingen ihm um die fleischigen Knie. Die Sanduhr, die sie schon kannte, leuchtete orange. Blätter und Pflanzenpartikel klebten im gerinnenden Blut.
Dr. Wayne Odom war seit mehr als zwanzig Jahren Gerichtsmediziner im Be zirk Mecklenburg-Charlotte. Er erkannte gleich, daß man die Farbe der Leiche am Fundort aufgesprüht hatte. Die Unterseiten einiger Pappelblätter wiesen nämlich einen leichten Farbstaub auf, den die Brise davongetragen hatte. Mit blutigen Handschuhen legte Dr. Odom einen neuen Film in seine Kamera ein. Er sah es als ziemlich wahrscheinlich an, daß man es hier mit einem homosexuellen Serienmörder zu tun hatte. Er war Diakon in der Northside Baptistengemeinde und davon überzeugt, daß ein zorniger Gott Amerika auf diese Weise für seine Perversionen bestrafte.
»Verdammt«, murmelte Hammer, während die Spurensicherung den Tatort nach weiteren Indizien durchkämmte. West verspürte ein Gefühl von Niedergeschlagenheit, das an Angst grenzte. »Können Sie mir das erklären?! Nur hundert Meter vom letzten Tatort entfernt. Ich habe meine Leute hier überall. Niemand hat irgend etwas gesehen. Wie kann das sein?«
»Wir können nicht jede Straße rund um die Uhr beobachten«, erwiderte Hammer wütend.
Aus einiger Entfernung beobachtete Brazil einen
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