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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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sich zum LEC auf den Weg machten. Beide waren überdreht und angespannt. West konnte einfach nicht glauben, daß sie eigenhändig einen Reporter an diesen Tatort geführt hatte. Sie wollte es einfach nicht begreifen. Das mußte jemand anderem unterlaufen sein, nicht ihr, nicht in ihrer Zuständigkeit. Sie dachte an eine Zeit zurück, über die sie noch nie mit jemandem gesprochen hatte: ihr zweites Collegejahr an einer sehr kleinen Konfessionsschule in Bristol, Tennessee. Das Problem hatte mit Mildred begonnen.
    Mildred war sehr groß und kräftig und wurde von sämtlichen Mädchen auf ihrer Etage gefürchtet, nur nicht von West. Sie wollte mehr von Mildred erfahren, weil Mildred aus Miami kam. Mildreds Eltern hatten sie aufs King College geschickt, damit sie »gerettet« und auf den »rechten Weg« zurückgeführt würde. Mildred hatte in Kingsport jemanden kennengelernt, der jemanden in Johnson City kannte, der wiederum Geschäfte mit einem Kerl bei Eastman Kodak machte, und der verkaufte Gras. Eines Abends zogen West und Mildred sich auf dem Tennisplatz, wo niemand sie sehen konnte, einen Joint rein. Nichts konnte man von ihnen sehen, außer den winzigen ab und zu aufglühenden Enden gleich neben dem Netzpfosten auf Platz zwei.
    Es war schrecklich. Noch nie hatte West etwas so durch und durch Verdorbenes getan, und heute wußte sie, warum. Sie hatte die Kontrolle verloren, grundlos angefangen zu lachen und verrückte Geschichten zu erzählen, während Mildred ihr gestand, ihr Leben lang darunter gelitten zu haben, zu fett gewesen zu sein, und außerdem wisse, wie es sei, als Schwarze diskriminiert zu werden. Mildred hatte schon was. Stundenlang saßen sie damals auf dem Platz. Dann legten sie sich auf den Rücken und blickten zu den Sternen und einem Mond auf, der wie eine gelbe Schaukel leuchtend und voller Verheißung am Himmel hing. Sie redeten über das Kinderkriegen, tranken Cola und aßen, was immer Mildred in den Taschen hatte. Meistens waren das Chips, Kekse oder Schokoladenriegel. Großer Gott, wie West es haßte, an diese entsetzliche Zeit zurückzudenken. Es war ihr Glück, daß sie von Marihuana Paranoia bekam. Nach ein paar Zügen von ihrem dritten Joint hatte sie nur noch den Wunsch, so schnell wie möglich in ihr Zimmer zu kommen, die Tür zu verriegeln und sich unter dem Bett zu verstecken und als eine andere wieder hervorzukriechen - als erfolgreiche Collegeabsolventin der technischen Fachrichtung. Nach dieser jähen Bekehrung gab es in Wests Leben für eine verliebte Mildred keinen Platz mehr. Für West waren Frauen etwas Großartiges. Sie hatte jede Lehrerin und jede Trainerin geliebt, wenn sie nett zu ihr waren. Aber das hier war etwas anders. Sie hatte nie genauer darüber nachgedacht, was hinter Mildreds Interesse an ihr, ihrer Familie und ihren Zukunftsplänen stecken mochte. Und nun begrapschte Mildred sie auch wie ein Junge. Mildred hatte sie nicht einmal gefragt, und das war verkehrt. Denn schließlich befand sich West in ihrer Vorstellung gerade in einer neuen Rolle.
    Sie errichten das LEC. West lenkte den Ford auf das Besucher-Parkdeck.
    »Sie können nichts damit anfangen«, sagte West in vorwurfsvollem Ton zu Brazil. »Womit?« fragte Brazil ruhig.
    »Sie wissen, was ich meine. Außerdem haben Sie nicht mit Zeugen zu reden.«
    »Das tun Reporter aber«, gab er zurück.
    »Zweitens ist die Sanduhr etwas, von dem bisher nur der Mörder und wir wissen. Verstanden? Also kein Wort davon in die Zeitung. Punkt.«
    »Wie können Sie da so sicher sein?« Brazil war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. »Woher wissen Sie, daß nicht irgend jemand, der am Tatort war, etwas durchsickern läßt?« West wurde laut und wünschte sich, Andy Brazil nie begegnet zu sein. »Wenn Sie das tun, sind Sie das nächste Opfer in dieser Stadt.«
    »Mordopfer«, verbesserte er sie.
    »Genau.« West fuhr weiter zum Parkdeck der Polizei. Dieser kleine Scheißer würde sie kein zweites Mal verbessern. »Dann sind Sie ein toter Mann.«
    »Gehe ich recht in der Annahme, daß das eine Drohung war?« hakte Brazil nach.
    »Oh nein. Keine Drohung«, gab West zurück, »ein Versprechen.« Sie rammte den Schalthebel in Parkstellung. »Suchen Sie sich jemand anderen, mit dem Sie Streife fahren.« Sie war noch nie so geladen gewesen. »Wo steht Ihr Wagen?«
    Mit einem Ruck zog Brazil den Türgriff hoch, eine vernichtende Antwort auf den Lippen. »Ach, wissen Sie was?« sagte er. »Ficken Sie sich ins Knie.«
    Er stieg

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