Die Hornisse
und wühlte nach einer Rolle Kalziumtabletten.
Sie hielt den Wagen an, so daß Brazil einsteigen konnte. Er war nicht einmal außer Atem, obwohl er gerade einen Sprint von gut fünfzig Metern hinter sich hatte. Angesichts solcher Alarmzeichen wollte West nur noch eins: rauchen.
»Ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie sollten mit niemandem sprechen.« Sie ließ das Feuerzeug aufflammen.
»Was hätte ich denn tun sollen?« fragte er ärgerlich. »Sie sind ohne mich weggegangen, und er hat mich aufs Korn genommen.« Sie fuhren noch immer an ärmlichen Behausungen vorbei, die meisten unbewohnt und mit Brettern vernagelt. Brazil sah West an und mußte daran denken, wie Bledsoe sie »Superwoman« genannt hatte.
»Man hätte Sie nie befördern dürfen«, sagte Brazil. »Was Sie da gerade gemacht haben, war toll.«
West war früher bei solchen Einsätzen wirklich gut gewesen.
Doch die Sergeant-Prüfung hatte einen ersten Schritt in Richtung Schreibtischarbeit und Political Correctness bedeutet. Wäre Hammer nicht in die Stadt gekommen, hätte sie sich bestimmt nach etwas anderem umgesehen. »Nun sagen Sie schon«, drängte Brazil.
»Was soll ich sagen?« fragte West und stieß eine Rauchwolke aus. »Was haben Sie zu ihm gesagt?«
»Zu wem?«
»Sie wissen schon, dem Typen im Krankenwagen.« »Kann ich nicht sagen.«
»Jetzt kommen Sie schon. Sie müssen irgendwas gesagt haben, das ihn richtig aufgebracht hat«, beharrte Brazil. »Nein.« West schnippte Asche aus dem Fenster. »Ach, kommen Sie. Was war's?«
»Ich habe gar nichts gesagt.«
»Haben Sie doch.«
»Ich habe ihn Schwuchtel genannt«, gab sie schließlich zu. »Aber das können Sie nicht drucken.«
»Da könnten Sie recht haben«, bestätigte Brazil.
Kapitel 4
Riesig ragte die Kulisse der Stadt hinter einem Schauplatz des Grauens auf. Es war kurz nach zehn. Nervös und konzentriert suchten schwitzende Polizeibeamte im Schein ihrer Taschenlampen einen Parkplatz auf der Rückseite eines verlassenen Gebäudes und ein angrenzendes Gelände ab. Es war von Unkraut überwuchert. Da war der Leihwagen, ein schwarzer Lincoln, zurückgelassen worden. Die Fahrertür stand offen, die Scheinwerfer brannten, und von innen ließ sich schwach das Klingeln der Tür- und Lichtkontrolle vernehmen. Aber es war zu spät. Detektiv Brewster, den man zu Hause angerufen hatte, stand mit Handy neben dem Lincoln und telefonierte. Er trug Jeans und ein altes Sporthemd mit seinem Namensschild auf der Brust. Die Pistole, eine .40er Smith & Wesson, hing mit ein paar Reservemagazinen an seinem Gürtel. »Sieht aus, als hätten wir hier den nächsten«, teilte er seiner Vorgesetzten mit, die bereits auf dem Weg zum Tatort war. »Können Sie mir zehndreizehn geben?« hörte er Wests Stimme über Funk.
»Zehndreizehn ist noch frei.« Brewster sah sich um. »Aber nicht mehr lange. Wie wär's mit zehnzwanzig?«
»Dilworth. Fahren auf der Neunundvierzig in Ihrer Richtung. E.O.T. zehnfünfzehn.«
Brazil hatte den Umgang mit Funkgerät und Codes auf der Akademie gelernt. Er wußte, warum Brewster und West in Codes kommunizierten. Etwas sehr Dramatisches ging vor sich, und sie wollten vermeiden, daß Außenstehende, Reporter zum Beispiel, mithörten.
Im wesentlichen teilte Brewster West mit, daß noch keine Schaulustigen am Tatort waren, dies aber nicht mehr lange so bleiben würde West war auf dem Weg und würde in weniger als fünfzehn Minuten eintreffen.
Als nächstes griff West nach dem Funktelefon, das am Kabel vom Zigarettenanzünder hing. Es war Alarmstufe eins. Sie wählte, während sie mit hohem Tempo weiterfuhr. Ihr Gespräch mit Chief Hammer war nur kurz.
West blickte Brazil von der Seite scharf an. »Tun Sie genau das, was man Ihnen sagt. Das hier ist kein Spaß.«
Als sie den Tatort erreichten, waren auch die Reporter schon da. Sie versuchten, die grauenhafte Szene aus nächster Nähe vor die Linse zu bekommen. Webbs hübsches Gesicht hatte einen düsteren, betroffenen Ausdruck, während er, das Mikrofon in der Hand, in eine Kamera blickte.
»Das Opfer konnte bisher nicht identifiziert werden. Wie die anderen drei, die ganz in der Nähe erschossen wurden, fuhr es einen Mietwagen.« Webb machte eine Aufzeichnung für die 23-Uhr-Nachrichten.
West und Brazil bahnten sich ruhig und bestimmt ihren Weg durch die Reporter. Sie wichen den Mikrofonen aus, die ihnen entgegengestreckt wurden, und duckten sich, wenn laufende Kameras auf ihre Gesichter schwenkten. Fragen prasselten auf
Weitere Kostenlose Bücher