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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Ermittler, der gerade die Brieftasche des Opfers durchsuchte. Was West und Hammer da hinten sahen, konnte Brazil nur vermuten, während er ungeduldig wartete und sich, an Wests Wagen gelehnt, Notizen machte. Wenn er bei Semesterarbeiten etwas gelernt hatte, dann, daß man auch ohne Kenntnis aller Fakten Atmosphäre schaffen konnte. Er musterte die Rückseite des verlassenen Backsteinbaus und kam zu dem Schluß, daß es einmal eine Art Lagerhaus gewesen sein mußte. Aus sämtlichen Fenstern mit ihren zerborstenen Scheiben starrte unheilvolle schwarze Leere. Die Feuertreppe wurde nur noch von Rost zusammengehalten. Auf halber Höhe war sie abgerissen.
    Von Brazils Platz aus waren die Lichter nur diffus zu erkennen. Alles konzentrierte sich auf das Dickicht unter den Bäumen. Wie Glühwürmchen flackerte das Licht der Stablampen gespenstisch um den Leihwagen, aus dem immer noch das Klingeln drang. In der Ferne rauschte der Verkehr. Sanitäter in Overalls liefen schwitzend mit einer Bahre vorbei. Auf ihr lag, noch zusammengefaltet, ein schwarzer Leichensack. Brazil reckte seinen Hals, als die Sanitäter den Tatort erreichten, und kritzelte wild auf seinen Block. Das Rollgestell der Trage wurde heruntergeklappt. Das metallische Geräusch riß Hammer aus ihren Betrachtungen. West und Brewster studierten den Führerschein des Opfers. Ob Brazil Näheres erfuhr oder nicht, interessierte niemanden.
    »Carl Parsons«, las Brewster vor. »Spartanburg, South Carolina. Einundvierzig Jahre. Kein Bargeld und kein Schmuck, falls vorhanden gewesen.«
    »Wo hat er hier in der Stadt gewohnt?« fragte Hammer. »Das hier sieht aus wie eine Reservierungsbestätigung vom Hyatt Hotel am Southpark.«
    West kauerte sich hin, um die Szene aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Mit halbgeöffneten Augen und ausdruckslosem Blick lag Parsons auf einem Lager aus blutigen Blättern, halb auf dem Rücken, halb auf der Seite. Dr. Odom sah sich gezwungen, dem Opfer eine weitere Demütigung zuzufügen, indem er ihm ein langes Thermometer ins Rektum schob, um die Kerntemperatur zu messen. Bei jeder Berührung der Leiche durch den Arzt rann weiteres Blut aus den Einschußlöchern im Kopf. Für West stand eines fest: Wer immer der Täter war, er hatte bestimmt nicht vor, diese Mordserie zu beenden.
    Brazil hatte keineswegs die Absicht aufzugeben, ganz gleich wie viele Steine ihm West in den Weg legte. Er hatte sein Bestes getan, um wenigstens die visuellen Eindrücke und die allgemeine Stimmung festzuhalten. Nun streifte er ein wenig umher. Ein leuchtend blauer Mustang fiel ihm auf. Daneben parkte ein Zivilfahrzeug der Polizei, in dem ein Halbwüchsiger neben einem Ermittler saß, den Brazil zuvor schon einmal gesehen hatte. Er tarnte sich auf der Straße als Drogendealer. Während der Junge sich mit dem Detective unterhielt und die Sanitäter am Tatort den Reißverschluß des Leichensacks zuzogen, machte Brazil sich weiter Notizen. Die Kameraleute, vor allem Webbs Team, waren erpicht darauf, möglichst viele Filmmeter und Aufnahmen von der Rollbahre zu bekommen, auf der der Tote nun wie ein großer schwarzer Kokon weggefahren wurde. Niemand außer Brazil nahm Notiz von dem jungen Mann, der aus dem Wagen des verdeckten Ermittlers stieg und ohne Eile zu seinem Mustang zurückkehrte.
    Das Verdeck war zurückgeklappt, und als er Brazil auf seinen protzigen Schlitten zukommen sah, ging sein Pulsschlag schneller. Dieser hübsche blonde Typ da hatte einen Reporterblock in der Hand. Jeff Deedrick fuhr sich nervös mit der Lippenpomade über den Mund und ließ so cool wie möglich den Motor an. Seine Hände zitterten. »Ich bin vom Charlotte Observer«, sagte Brazil und blieb neben der Fahrertür stehen. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.« Deedrick sah sich auf der Schwelle zum Ruhm. Er war siebzehn, konnte aber leicht für einundzwanzig durchgehen, solange man ihn nicht nach seinem Ausweis fragte. Jetzt würde er all die Mädchen bekommen, die ihn bis heute abend keines Blickes gewürdigt hatten. »Wenn's sein muß«, meinte Deedrick widerstrebend, als sei ihm die Aufmerksamkeit, die ihm plötzlich zuteil wurde, lästig. Brazil stieg in den Mustang. Der Wagen war neu und gehörte nicht Deedrick selbst, was Brazil aus dem zierlichen blauen Schlüsselanhänger folgerte, der exakt zur Farbe des Wagens paßte. Außerdem besaßen nur wenige junge Leute unter einundzwanzig ein Handy, es sei denn, sie dealten mit Drogen. Er hätte wetten mögen,

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