Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
sie auch nur noch einen Zentimeter weiter nach rechts rückte, würde er sterben, auf der Stelle, hier auf ihrem Beifahrersitz.
    »Wann haben Sie zum letzten Mal so was gemacht?« gelang es ihm schließlich zu fragen.
    Sie bedeckte ihr Werk mit seiner Klipkrawatte. Je mehr sie einen Kontakt mit diesem Menschen vermeiden wollte, desto ungeschickter wurden ihre Hände. Nervös wollte sie die Heftzange wieder verstauen und ließ sie dabei fallen. »Ich brauche sie, wenn ich Berichte und Protokolle zusammenhefte.«
    Sie tastete unter ihren Sitz. »Für ein Hemd habe ich sie allerdings noch nicht benutzt, soweit ich mich erinnern kann.« Erst beim dritten Versuch gelang es ihr, die Klappe des Handschuhfachs mit Schwung zuzuknallen.
    »Nein«, sagte Brazil und mußte sich wieder räuspern. »Ich meine die Sache da drinnen. Der Typ hatte bestimmt seine hundertfünfundzwanzig Kilo, und Sie haben ihn in die Knie gezwungen. Ohne jede Hilfe.«
    West legte den Gang ein. »Das könnten Sie auch«, sagte sie. »Alles, was Sie dazu brauchen, ist Übung.«
    »Vielleicht könnten...?«
    Sie hob die Hand, als wolle sie den Verkehr stoppen. »Nein! Verdammt noch mal, ich bin doch keine Ein-Mann-Polizeischule!« Sie klopfte auf das MDT. »Melden Sie uns von hier ab, Partner.« Etwas zögernd fing er an zu tippen. Das System gab ein Piepsen von sich, als ob es ihn mochte. »Meine Güte«, sagte er, »das ist wirklich toll.«
    »Sie sind leicht zufriedenzustellen«, meinte West. »Einheit 700«, sagte der Beamte in der Einsatzzentrale. »Vermißte Person in fünf sechsundfünfzig Midland Court.«
    »Mist. Nicht schon wieder.« West griff nach dem Mikrofon und warf es ihrem Partner zu. »Nun zeigen Sie einmal, was man den Volunteers heutzutage so auf der Academy beibringt.«
    »Hier 700«, sagte er laut und deutlich. »Übernehmen zehnachtzehn, Block fünf sechsundfünfzig Midland.«
    Vermißtenanzeigen und deren Bearbeitung zogen stets einen unglaublichen Papierkrieg nach sich. Obendrein blieben die Ermittlungen in den meisten Fällen ergebnislos. Entweder wurde die entsprechende Person nicht wirklich vermißt, oder es war tatsächlich der Fall, und sie war tot. Radar hätte es lieber gesehen, wenn West im Fat Man's einen Tritt in den Arsch bekommen hätte. Aber wenigstens konnte er dafür sorgen, daß sie den Rest ihres Lebens mit dem Ausfüllen von Formularen verbrachte. Zudem war Midland Court sozialer Wohnungsbau und ganz gewiß kein angenehmer Aufenthaltsort für eine Frau oder ihren Reporter-Partner.
    Luellen Wittiker lebte in einer Zweizimmerwohnung. Wie überall hier stand auch die 556 in riesigen Ziffern über der Wohnungstür. Die Stadtverwaltung hatte diese Kennzeichnung kostenlos übernommen, damit die Polizei sich leichter zurechtfand, wenn sie mit Taschenlampen in der Hand und hechelnden Hunden an der Leine hierherkam. Luellen Wittiker war gerade erst eingezogen. Sie kam von Mint Hill, wo sie bis zu ihrem Schwangerschaftsurlaub, Anfang des achten Monats, als Kassiererin bei Wal-Mart gearbeitet hatte. Außerdem war sie es leid gewesen, daß Jerald immer wieder bei ihr auftauchte. Wie oft hatte sie zu ihm im Laufe der Zeit nein sagen müssen? N-E-I-N.
    Händeringend ging sie auf und ab. Auf dem Bett dicht neben der Tür lag ihre vierjährige Tochter Tangine und sah sie an. An den Wänden stapelte sich noch eine durchaus überschaubare Anzahl von Umzugskartons. Die Familie Wittiker reiste mit leichtem Gepäck. Luellen betete unablässig, daß Jerald nicht herausfand, wo sie inzwischen wohnte. Er würde mit Sicherheit aufkreuzen. Ohne Frage. Sie wanderte weiter. Wo, zum Teufel, blieb nur die Polizei? Glaubte die etwa, man könne die Sache einfach auf später verschieben? Jetzt paßt es nicht so recht, kümmern wir uns später drum?
    Oh ja. Gewiß würde er sie finden. Alles wegen dieser mißratenen Brut. Wheatie war jetzt Gott weiß wo da draußen und versuchte wohl irgendwie, Jerald ausfindig zu machen. Jerald war nicht Wheaties leiblicher Vater, aber der letzte Freund seiner Mutter. Wheatie betete Jerald an, er war sein Idol. Und genau da lag das Problem. Tangine folgte ihrer Mutter mit den Blicken. Sie lutschte ein Eis am Stiel. Jerald war nichts weiter als ein kleiner Dealer. Er kaufte und verkaufte Drogen aller Art und nahm sie auch selbst. Kokain, Crack, Diesel, Gras, die ganze Palette. In seinem weiten, wattierten Jogginganzug und den Fila-Schuhen zog er herum, als gehöre er zur National Basketball Association. Er trug

Weitere Kostenlose Bücher