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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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sie mehrere Male gesagt, wo andere meist nur ich gesagt hätten, so als ob einer wie Brazil gar nicht da gewesen wäre. Es tat gut, wenn sie ihn einbezog. Auch die sanfte Bestimmtheit, die sie dieser verletzten und haßerfüllten Familie gegenüber an den Tag gelegt hatte, hatte ihn sehr berührt. Brazil hätte ihr gern gesagt, wie bewundernswert er ihre Haltung fand, doch eigenartigerweise fehlten ihm wieder die Worte, genau wie es ihm mit Hammer ergangen war.
    Nachdenklich fuhr West in Richtung Innenstadt zurück und wunderte sich über das Schweigen ihres Begleiters. Vielleicht ärgerte es ihn, daß sie Einsätzen aus dem Weg ging oder es zumindest um jeden Preis versuchte. Sie fühlte sich schlecht dabei. Wie würde sie es im umgekehrten Fall finden? Es war wirklich nicht sehr nett von ihr, und er war durchaus im Recht, wenn er es ihr übelnahm. West schämte sich zutiefst für ihr Verhalten. Sie drehte das Funkgerät lauter und griff nach dem Mikrofon. »Hier 700«, sagte sie.
    »700, ich höre«, kam es aus der Einsatzzentrale zurück.
    »Melde zehnacht.« Brazil traute seinen Ohren nicht. West hatte gerade ihre Einsatzbereitschaft durchgegeben. Sie wollte tatsächlich Einsätze fahren wie jede andere Streife. Jetzt würden sie es endlich mit echten Fällen zu tun bekommen. Jetzt würde es Ärger geben, und sie waren entschlossen, sich ihm entgegenzustellen. Sie brauchten nicht lange zu warten. Der erste Einsatz rief sie zur katholischen Kirche Our Lady of Consolation, Unserer Lieben Frau der Tröstungen. »Beschwerde über laute Musik aus dem Club im Einkaufscenter gegenüber«, lautete die Information aus dem Äther.
    Der Beamte in der Einsatzzentrale hatte den Spitznamen Radar, und das nicht ohne Grund. Radar hatte seine Laufbahn bei der Highway Patrol von North Carolina begonnen, wo er bald eine gewisse Berühmtheit erlangte. Er nagelte sie alle fest, Autos, Brückenpfeiler, Häuser, Laster, Verkehrszeichen, Fußgänger, Tiefflieger, Heißluftballons und Bäume. Immer wieder und immer wegen Geschwindigkeitsübertretung. Seine Radarpistole war sein Ein und Alles. Es verschaffte ihm eine tiefe Befriedigung, auf den Highways Angst und Schrecken zu verbreiten, indem er ahnungslose Gesetzesbrecher auf ihrem Weg zu oder bei der Rückkehr von bedeutsamen Ereignissen zur Verantwortung zog. Radar ging in Pension. Er kaufte sich ein Wohnmobil und startete in der Einsatzzentrale eine neue Karriere, um das Gefährt zu bezahlen. Beim Notruf 911 waren alle der Überzeugung, daß Radar Ärger riechen konnte, noch bevor er entstand. Was nun den Anruf von der Kirche anging, hatte er ein wirklich ungutes Gefühl.
    Deswegen hatte er den Einsatz Deputy West zugeteilt. Es gehörte zu Radars festen Überzeugungen, daß Frauen nicht in Uniformen gehörten, es sei denn, sie waren darunter nackt und erschienen auf dem Titelbild eines dieser Detektivmagazine, die er so liebte. Zu seiner Intuition, die sich fast jeder Erklärung entzog, gesellte sich in diesem Fall noch die Tatsache, daß die Beschwerde aus der Fat Man's Lounge kam. Die wurde von ein paar Gangstern betrieben, die über Frauen dasselbe dachten wie er. Colt, den Rausschmeißer, kannte Radar persönlich, und er wußte, ihm würde es ganz und gar nicht gefallen, wenn West mit all dem Lametta an der Brust, ihrem knackigen Hintern und den großen Titten bei ihm aufkreuzte.
    Doch von diesen Überlegungen wußte West nichts, als sie auf der Statesville Avenue wendete und sich eine Zigarette anzündete. Sie deutete mit dem Kinn auf das MDT. »Ich habe vierzig Minuten gebraucht, um mit diesem Ding umgehen zu können«, sagte sie. »Ihnen gebe ich zehn.«
    Die katholische Kirche Our Lady of Consolation veranstaltete einen besonderen Musikabend, und auf dem Parkplatz standen die Wagen dicht an dicht. Die Liste katholischer Einrichtungen in den Gelben Seiten von Charlotte war nicht sehr lang, anders als die der Baptisten, Adventisten, Presbyterianer, Apostolischen und Protestantischen Gemeinden, der Pfingst- und Nicht-Pfingstgemeinden, der Gemeinschaft Gottes und der Gospelgemeinden verschiedenster Prägung, um nur ein paar zu nennen. Das Zahlenverhältnis war etwa achtundzwanzig zu eins zuungunsten der Katholiken. Die katholischen Gemeinden fanden sich in den Gelben Seiten eingezwängt zwischen dem einzigen Buddhistentempel der Stadt und den Charismatikern, die in Zungen redeten. So kam es, daß die Katholiken ihr Gotteshaus nicht als Selbstverständlichkeit betrachteten,

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