Die Hornisse
gerade seine einzige Erwartung an ihn zerstört hatte.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ich brauche keinen Babysitter, und ich lasse mich nicht von so einer lamettabehängten Beamtin zensieren.« Brazil war laut geworden. Aber ihm war egal, wer ihn hörte. »Ich bin nicht auf diese verdammte Academy gegangen, um.«
Packer war es aus anderen Gründen egal, ob jemand zuhörte. Seit dreißig Jahren war er die Anlaufstelle für Beschwerden aller Art, in der Redaktion wie auch zu Hause. Er hörte schon längst nicht mehr hin. Sein Blick wanderte zu diesem und jenem Schreibtisch. Vielleicht konnte er hier und da einen Gesprächsfetzen auffangen. Plötzlich fiel ihm ein, daß seine Frau ihn beim Frühstück gebeten hatte, auf dem Nachhauseweg Hundefutter einzukaufen. Außerdem sollte er den jungen Hund seiner Frau um drei Uhr wegen irgendeiner Spritze zum Tierarzt bringen. Anschließend hatte Packer selbst einen Arzttermin.
»Verstehen Sie denn nicht?« fuhr Brazil fort. »Die benutzen mich doch nur. Die versuchen, über mich eine gute Presse zu bekommen!«
Packer stand auf und überragte Brazil wie ein Baum, der mit zunehmendem Alter immer mehr Schatten spendet. »Was soll ich dazu sagen?« antwortete er, und wieder hing sein Hemd heraus. »Wir haben so etwas bisher noch nie gemacht. Es ist das, was Cops und Stadt anzubieten haben. Sie müssen eine Verzichtserklärung unterschreiben, daß Sie die Polizei nicht haftbar machen. Sie machen sich einfach nur Notizen. Keine Fotos und keine Videoaufzeichnungen. Tun Sie nur das, was man ihnen sagt. Ich will nicht, daß Sie sich da draußen eine Kugel einfangen.«
»Also gut. Ich muß noch nach Hause und meine Uniform anziehen«, beschloß Brazil.
Packer ging und zerrte auf dem Weg zur Herrentoilette erneut an seiner Hose. Brazil sank in seinen Sessel zurück und sah zur Decke, als sei alles, was er erreicht hatte, wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Panesa beobachtete ihn durch die Glasscheibe. Er wollte wissen, wie Brazil mit der Situation umging, war aber zugleich überzeugt, daß er mit ihr fertig würde. Brenda Bond, die Systemanalytikerin, starrte von einem Computer aus, den sie gerade einstellte, unverhohlen zu ihm herüber. Brazil hatte ihr nie besondere Beachtung geschenkt. Irgendwie stieß ihn die magere, blasse Frau mit dem störrischen schwarzen Haar ab. Sie wirkte haß- und neiderfüllt, und mit Sicherheit war sie cleverer als Brazil, aber das gehörte schließlich zum Wesen von Computerexperten. In Brazils Vorstellung verbrachte Brenda Bond ihr ganzes Leben in den Chat Rooms des Internet. Wer hätte sie schon haben wollen? Seufzend erhob sich Brazil. Lächelnd sah Panesa zu, wie er eine mickerige rote Rose aus einer Limonadenflasche zog. Panesa und seine Frau hatten sich sehnlichst einen Sohn gewünscht, aber nach fünf Töchtern waren ihnen nur noch zwei Möglichkeiten geblieben, entweder in ein größeres Haus zu ziehen, katholisch beziehungsweise mormonisch zu werden oder zu verhüten. Statt dessen aber hatten sie sich scheiden lassen. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, einen Sohn wie Andy Brazil zu haben. Brazil war ein besonders gutaussehender junger Mann, sensibel und - wenngleich das noch nicht ganz ausgetestet war - wohl das größte Talent, das jemals über seine Schwelle getreten war.
Tommy Axel schrieb an einer ausführlichen Kritik des neuen k. d. lang-Albums, dem er gerade über Kopfhörer lauschte. Brazil hielt ihn für eine Gurke, etwa vergleichbar mit dem Schauspieler Matt Dillon, der nicht berühmt war und es auch nie sein würde. Axel zuckte in seinem Star Trek T-Shirt zu einem Boogie-Rhythmus, als Brazil sich neben seinen Schreibtisch stellte und ihm die Rose neben die Tastatur schleuderte. Erstaunt schob Axel den Kopfhörer in den Nacken. Dünn sickerte Musik durch die Membrane. Sein Gesicht war verklärt. Hier stand sein Ein und Alles. Seit seinem sechsten Lebensjahr hatte er irgendwie die Vorahnung gehabt, daß eines Tages die Bahn seines Sterns die eines derart göttlichen Wesens kreuzen würde.
»Axel«, sagte Brazil, und seine himmlische Stimme klang wie ein Donnerschlag, »keine Blumen mehr.«
Axel starrte auf seine liebliche Rose, während Brazil davonstelzte. Brazil meint es nicht so, dachte Axel, ganz sicher nicht, und sah Brazil nach. Axel war froh, einen eigenen Schreibtisch zu haben. Er rollte mit dem Stuhl vor und schlug die Beine übereinander. Seine Sehnsucht folgte dem blonden Gott, der da
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