Die Hornisse
Geräuschlos schritt er hinaus.
Kapitel 2
Obwohl Streife die größte Abteilung des Charlotte Police Department war, war Ermittlungen die tückischste. Davon war Virginia West felsenfest überzeugt. Eigentumsdelikte, Mord und Vergewaltigung verfolgten die Bürger der Stadt mit ängstlicher Anteilnahme. Wenn ein Gewalttäter nicht umgehend gefaßt und aus dem Verkehr gezogen wurde, schlugen sie Alarm, als ob der Weltuntergang über sie hereinbräche. Wests Telefon hatte den ganzen Tag nicht stillgestanden.
Der Ärger hatte drei Wochen zuvor begonnen, als Jay Rule, ein Geschäftsmann aus Orlando, zu einer Textiltagung in die Stadt gekommen war. Stunden nachdem Rule den Flughafen in einem Leihwagen des Typs Maxima verlassen hatte, wurde der Wagen verlassen auf einem dunklen, zugewachsenen Grundstück abseits der South College Street, im Herzen des Stadtzentrums, gefunden. Die Innenwarnanlage ließ ihre Klage über eine geöffnete Fahrertür und eingeschaltete Scheinwerfer vernehmen. Ein Aktenkoffer und eine Reisetasche lagen durchwühlt auf dem Rücksitz. Bargeld, Schmuck, Handy, Pieper und womöglich noch einiges andere, von dem niemand wußte, fehlten.
Jay Rule, dreiunddreißig, war fünfmal in den Kopf geschossen worden, aus einer .45er-Pistole, die mit Hohlspitz-Hochgeschwindigkeits-Projektilen, Geschosse mit extrem hoher Durchschlagskraft, auch als Silvertips bekannt, geladen war. Die Leiche war etwa fünf Meter weit ins Dickicht gezerrt worden, Hose und Unterhose bis zu den Knien heruntergezogen. Den Genitalbereich hatten die Täter mit leuchtend oranger Farbe in den Umrissen einer großen Sanduhr besprüht. Niemand, das FBI eingeschlossen, hatte je etwas Ähnliches gesehen. Dann, in der darauffolgenden Woche, passierte es wieder.
Der zweite Mord geschah weniger als zwei Blocks vom ersten entfernt, nämlich abseits der West Trade Street, hinter dem Cadillac Grill, der wegen der Verbrechensdichte in der Gegend nachts geschlossen hatte. Jeff Calley, zweiundvierzig, ein Baptistenprediger aus Knoxville, Tennessee, war in Charlotte zu Besuch gewesen. Sein Auftrag in der Stadt war kein besonderer. Er hatte seiner hinfällig gewordenen Mutter beim Umzug ins Pines, ein Pflegeheim, helfen und für diese Zeit im Hyatt wohnen wollen. Er hatte aber nie eingecheckt. Am späteren Abend war sein gemieteter Jetta gefunden worden. Die Fahrertür offen, mit tutender Tür- und Lichtkontrolle, dasselbe Schema.
In der dritten Woche wiederholte sich der Alptraum. Diesmal traf es den zweiundfünfzig Jahre alten Cary Luby, zu Besuch aus Atlanta. West war gerade dabei, den Fall am Telefon zu erörtern, als Brazil in ihrer Tür erschien. West beachtete ihn nicht. Zu sehr war sie damit beschäftigt, großformatige Fotos von den blutigen Ereignissen durchzusehen, während sie weiter mit dem A.D.A. dem Assistenten der Bezirksstaatsanwaltschaft, diskutierte. »Das stimmt nicht, und ich weiß nicht, woher Sie das haben, verstanden? Es waren mehrere Kopfschüsse, aufgesetzt. Eine .45er mit Silvertips... Ja, ja, genau... Alle Tatorte lagen nur wenige Blocks voneinander entfernt.« Sie begann ungeduldig zu werden. »Großer Gott. Selbstverständlich habe ich meine verdeckten Ermittler in der Gegend. Als Nutten, Zuhälter. Sie treiben sich rum, halten Augen offen, was man halt braucht. Was dachten Sie denn?« Sie wechselte den Hörer in die andere Hand, fragte sich, warum sie eigentlich Ohrringe trug, und ärgerte sich, daß jemand ihre beruflichen Fähigkeiten in Frage stellen konnte. Sie warf einen Blick auf die Uhr, sah sich weitere Fotos an und hielt bei einem inne, das deutlich die aufgesprühte Sanduhr zeigte, die eher einer fetten, Orangen Acht glich. Der untere Kreis bedeckte die Genitalien, der obere reichte bis auf den Unterleib. Es war eigenartig. Der A.D.A. stellte weitere Fragen hinsichtlich des Tatorts, und Wests Geduldsfaden drohte zu zerreißen. Bisher war es ein beschissener Tag gewesen.
»Genau wie in den anderen beiden Fällen«, erklärte sie mit Nachdruck. »Alles. Brieftasche, Uhr, Ehering.« Sie lauschte. »Nein. Nein. Keine Kreditkarten, nichts mit dem Namen des Opfers. Warum? Weil der Mörder schlau und gerissen ist. Darum.« Sie seufzte, in ihrem Kopf begann es zu hämmern. »Herrgott im Himmel. Darauf will ich doch gerade hinaus, John. Wenn wir von Autodiebstahl reden, warum hat dann der Täter den gemieteten Thunderbird nicht mitgehen lassen? Keiner der Wagen ist gestohlen worden.« Sie schwang in ihrem Sessel
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