Die Hornisse
was er hoffte. Eine Mütze trug er nicht, da Chief Hammer nicht viel davon hielt.
Brazil begutachtete sich im Spiegel, um sicherzugehen, daß alles perfekt saß. Er machte sich auf, zurück in die Stadt, mit offenem Verdeck und den Arm so oft wie möglich lässig im offenen Fenster, denn er freute sich über die Reaktion der Fahrer auf den benachbarten Fahrspuren, wenn sie seine Schulterstücke sahen. Sie verlangsamten dann plötzlich das Tempo, oder ließen ihn vorfahren, wenn die Ampel auf Grün schaltete. Jemand fragte ihn nach dem Weg. Einmal spuckte ein Mann vor ihm aus, die Augen voller Haß, den Brazil gar nicht verdiente, denn er hatte ihm nichts getan. Zwei halbwüchsige Jungen in einem Pickup machten sich über ihn lustig, aber Brazil sah stur geradeaus und fuhr unbeirrt weiter, als sei ihm das alles nicht neu. Er war schon immer ein Cop gewesen. Das LEC lag einige Blocks von der Zeitung entfernt, und Brazil kannte den Weg im Schlaf. Er bog auf das Besucher-Parkdeck ein und stellte seinen BMW auf einem Presse-Stellplatz ab. Stets achtete er darauf, so einzuparken, daß niemand seine Türen beschädigen konnte. Er stieg aus und folgte den auf Hochglanz gebohnerten Fluren zum Büro des diensthabenden Captains, denn er wußte noch nicht, wo die Ermittlungsabteilung lag, und ob er dort ohne Passierschein einfach hineinschneien konnte. Auf der Academy hatte er seine Zeit im Klassenzimmer und im Funkraum verbracht oder auf der Straße, wo er lernte, den Verkehr zu regeln und mit Bagatellunfällen umzugehen. In diesem dreistöckigen Gebäudekomplex kannte er sich nicht aus. In einer Tür blieb er stehen. Plötzlich fühlte er sich unbeholfen in seiner Uniform, zu der keine Waffe, kein Schlagstock, kein Pfefferspray, nichts in seinen Augen Nützliches, gehörten.
»Verzeihung«, machte er sich bemerkbar.
Der diensthabende Captain, ein hochgewachsener, alter Mann, saß hinter seinem Schreibtisch und blätterte zusammen mit einem Sergeant Seiten mit Täterfotos durch. Sie nahmen keine Notiz von ihm. Einen Augenblick lang sah Brazil Brent Webb zu, dem Reporter des Fernsehsenders Channel 3, der sich über die Körbe mit Pressemitteilungen beugte, in Protokollen las und alles einsteckte, was ihm nützlich erschien. Es war unglaublich. Er sah, wie dieser Arsch alles in seiner Aktentasche verschwinden ließ, wo es kein anderer Journalist aus der Stadt je zu Gesicht bekommen würde. Als schien es ihm völlig selbstverständlich, Brazil und jeden anderen, der für die Nachrichten arbeitete, einfach auszutricksen. Brazil starrte erst Webb an, dann diesen Sergeant und den Captain, denen völlig gleichgültig zu sein schien, welche Verbrechen da direkt vor ihren Augen begangen wurden. »Entschuldigen Sie bitte«, versuchte es Brazil noch einmal, jetzt etwas lauter.
Er trat in den Raum. Die Cops ignorierten ihn geradezu vorsätzlich. Jede Art von Papierkram war ihnen so zutiefst verhaßt, daß sie den Grund dafür längst vergessen hatten.
»Ich suche Deputy Chief Wests Büro.« Brazil würde schon dafür sorgen, daß man ihn beachtete.
Der Captain vom Dienst hob die nächste Klarsichthülle aus der Fotokartei mit den hartgesottenen Kriminellen gegen das Licht. Der Sergeant hatte Brazil den Rücken zugewandt. Webb unterbrach seine Schnüffelaktion, amüsiert oder vielleicht auch spöttisch musterte er diesen verkleideten Lackaffen von oben nach unten. Brazil hatte Webb oft genug im Fernsehen gesehen und zudem eine Menge über ihn gehört. Er würde ihn immer und überall wiedererkennen. Von Reporterkollegen wurde Webb der Terrier genannt, warum, das hatte Brazil soeben mit eigenen Augen erlebt.
»Wie gefällt es Ihnen denn so als Volunteer?« fragte Webb herablassend, ohne eine Ahnung zu haben, wer Brazil war. »Wo geht's zur Ermittlungsabteilung?« fragte Brazil scharf zurück, als wäre es ein Befehl, und blickte ihn durchdringend an. Webb nickte nach oben. »Die Treppe rauf. Sie können es nicht verfehlen.«
Er warf noch einen Blick auf Brazils Outfit und fing an zu prusten, ebenso der Sergeant und der Captain. Brazil tat sich keinen Zwang an, griff nach Webbs Aktentasche und zog einen Packen entwendeter Polizeiberichte heraus. Er glättete sie und schob sie zusammen, ging unter den Blicken der Anwesenden jeden einzelnen sorgfältig durch und legte sie ordentlich wieder aufeinander. Webb bekam einen roten Kopf.
»Ich nehme an, Chief Hammer wird den Terrier gern einmal in Aktion sehen«, lächelte Brazil ihm zu.
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