Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
Mittagessen brachte sie genug Mut auf, um sich mir auf dem Flur zu nähern, als ich mit den anderen zum Unterricht ging.
»Ich wohne in deiner Nähe«, sagte sie. »Wir haben das Haus direkt südlich von den Hudsons.«
Sie sagte das alles ganz rasch und ging dann schneller, als hätte sie panische Angst, ich könnte das Gespräch fortsetzen.
»Was ist los mit ihr?«, murmelte ich.
»Audrey ist eine neurotische Introvertierte«, erklärte Maureen Knowland mit dem Ton einer Expertin. »Sie ist so eine Art zerstreuter Professor, weil sie auf der Bühne so gut ist.«
»Auf der Bühne? Als was? Als Sängerin?«
»Nein, als Schauspielerin«, sagte Pauline Bogart lachend. »Sie tritt in jeder Aufführung von Mr Bufurd auf.«
»Sie ist in ihn verknallt«, posaunte Maureen schadenfroh heraus.
»Du doch auch«, warf Tamatha Stevens ihr vor. Bevor Maureen es abstreiten konnte, gab Tamatha zu: »Ich auch. Wir alle. Du hast so ein Glück, ihn als Beratungslehrer zu haben, Rain«, meinte sie. »Wenn ich ihn hätte, käme ich jeden Tag mit hunderten von Problemen an.«
Sie lachte und die anderen stimmten ein. Sie kicherten fast den ganzen Weg zum nächsten Klassenraum.
Kein Wunder, dass Mr Bufurd sie als Seifenblasen bezeichnete, dachte ich und lachte auch.
War ich zu entspannt? War das alles zu einfach? Ohne Mädchen wie Nicole, die darauf warteten, sich auf der Toilette auf mich zu stürzen, schien diese Schule sicher zu sein.
Oder war das alles eine Illusion? Besser ist es, vorsichtig zu sein, dachte ich. Mir ist in diesem Leben noch nie etwas in den Schoß gefallen.
Es gibt keinen Grund zu vermuten, dass dies jetzt der Fall sein könnte.
Am Ende des Schultages sollte ich mich bei Mr Bufurd melden, um Fragen zu stellen und weitere Informationen über die Schule zu bekommen. Nachdem ich das Klassenzimmer betreten hatte, informierte er mich darüber, dass er begonnen hatte, für die Aufführung von Unsere kleine Stadt die Besetzung auszuwählen.
»Ich habe heute nicht so viel Zeit für Sie, aber morgen während eurer Lernphase. Dann habe ich eine Freistunde«, erklärte er.
»Gibt es irgendwelche dringenden Probleme, die wir schnell lösen können?«
»Nein«, sagte ich. »Bis jetzt ist alles in Ordnung. In Mathe muss ich etwas nachholen, aber ich glaube, damit komme ich zurecht.«
»Das gefällt mir«, meinte er nickend und richtete seine wunderschönen grünen Augen auf mich, »Selbstbewusstsein ohne einen Anflug von Arroganz. Das ist erfrischend.« Er überlegte einen Augenblick und fragte dann: »Sie haben es nicht immer leicht gehabt, was?«
»Nein«, bestätigte ich.
»Ich verrate Ihnen jetzt ein großes Geheimnis«, sagte er. »Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Ich zahle immer noch meinen Erziehungskredit ab.« Er verstaute seine Bücher
in seiner Aktentasche und schaute mich dann an. »Haben Sie jemals in einer Schulaufführung mitgespielt?«
»Nein«, sagte ich.
»Warum bleiben Sie nicht hier und probieren es einmal aus?« Ich wollte schon den Kopf schütteln.
»Sie haben nichts zu verlieren. Wir bestrafen Sie nicht, wenn Sie nicht ausgewählt werden. Das ist die beste Möglichkeit, sich in eine neue Schule einzugliedern, in alles hineinzukommen«, riet er mir. »Sie sollten auf mich hören, schließlich bin ich Ihr Beratungslehrer.«
»Mein Fahrer soll mich in einer halben Stunde abholen«, sagte ich, nachdem ich auf die Uhr geschaut hatte.
»Sie kommen zuerst dran«, sagte er. »Wir gehen jetzt zum Theater hinüber und können uns dabei weiterunterhalten. Na los«, drängte er. »Es tut nicht weh.«
Ich lachte. »Okay«, stimmte ich zu.
Ich mochte ihn, weil er nicht einfach Fragen stellte. Er gab auch Informationen über sich selbst preis, dass er drei Schwestern hatte, außerhalb von Baltimore aufwuchs, hinund herschwankte zwischen einer Karriere beim Theater und im Erziehungswesen und sich schließlich entschied, Lehrer zu werden.
»Vermutlich wären Sie auch ein guter Schauspieler«, sagte ich.
»Vielleicht, aber in der Kunst reicht es nicht, gut zu sein; da ist auch eine blutrünstige Entschlossenheit nötig. Sie stecken Kopf und Hals in einen Rammbock und dreschen so lange auf die Tür ein, bis sie sich ein wenig öffnet, und dann treten Sie in Konkurrenz zu anderen, lernen, sich selbst zu verkaufen, trampeln über andere, bis Ihr Name in großen Buchstaben draußen über dem Eingang steht. Vermutlich
hatte ich keine Lust auf solch einen Feldzug, obwohl es vermutlich genauso
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