Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
die wir sonst nicht nutzen. Es ist mein privates Zuhause, weg von zu Hause, verstehst du?«
»Nein«, sagte ich kopfschüttelnd. Ich hatte das Glück, ein Zuhause in meinem Zuhause zu haben, dachte ich. »Riecht es dort denn nicht?«
»Nein«, sagte er lächelnd. »Wir haben eine Farm, aber keine Tiere.«
»Was für eine Art Farm ist es denn dann?«
Er zuckte die Achseln.
»Das, was meine Eltern gewollt haben.Vermutlich könntest
du es ein Filmkulissen-Zuhause nennen. Also, soll ich dich abholen?«
»Ich muss Mrs Hudson fragen. Ich glaube, ihre Tochter kommt zu Besuch, und vielleicht muss ich dann da sein.«
»Warum musst du da sein? Kannst du nicht tun, was du willst?«
»Nein. Ich stehe unter Aufsicht«, erklärte ich.
»Okay«, sagte er. »Sag mir Bescheid, ob du Zeit hast.« Er stand auf. »Ach, übrigens, das bleibt erst einmal unter uns. Ich will nicht, dass diese Schwachköpfe irgendwelche Geschichten verbreiten.«
»Was für Geschichten?«, forschte ich nach.Wessen schämte er sich?
»Wer weiß? Setz ihnen irgendeine Vorstellung in den Kopf und sie spielen verrückt.« Er sah die Missbilligung auf meinem Gesicht. »Schau mal, willst du, dass Maureen hinter deinem Rücken über dich redet?«
»Nein«, gab ich zu.
»Ich auch nicht«, sagte er und lächelte. »Ich hoffe, du bekommst die Erlaubnis.«
Warum müssen die am besten aussehenden Jungen immer so aufreizend sein, fragte ich mich, aber ich wollte mich mit ihm treffen. An dem Abend fragte ich Großmutter Hudson beim Essen, ob meine Mutter angerufen hatte, um zu sagen, dass sie am Wochenende kam.
»Anfang der Woche machte sie einige vage Andeutungen in diese Richtung, aber heute sagte sie mir, dass sie Grant zu einem Empfang begleiten müsse. Er hält sich selbst für einen aufgehenden Stern am Politikerhimmel«, murmelte sie.
»Sie kommt also nicht?« Ich war gleichzeitig enttäuscht und erleichtert. Meinen Halbbruder und meine Halbschwester
kennen zu lernen würde sich bestimmt als traumatische Erfahrung erweisen.Wenn sie mich anschauten, würden sie dann Ähnlichkeiten sehen, spüren?
»Sie hat damit gedroht, während der Woche aufzukreuzen«, brummte meine Großmutter. »Es sei denn, ich sterbe vorher. Dann kommt sie früher.«
»Wie schrecklich, so etwas zu sagen. Bestimmt macht sie sich Sorgen um Sie.«
Sie starrte mich einen Augenblick an, schüttelte dann leicht den Kopf und verzog sanft die Lippen.
»Für ein Mädchen, das in einer Gegend aufgewachsen ist, die manche den Vorhof der Hölle nennen, wirkst du reichlich naiv und vertrauensselig. Ich belüge mich nicht, Rain. Meine Kinder wurden verzogen und sind egoistisch. Wenn irgendetwas zu unbequem ist, tun sie es nicht, selbst wenn es bedeutet, eine kranke Mutter nicht zu besuchen. Besonders wenn es bedeutet, eine kranke Mutter nicht zu besuchen«, korrigierte sie sich.
»Ich belüge mich nicht«, sagte ich, »aber ich will nicht aufhören, an die Menschen zu glauben.«
»Das liegt daran, dass du noch jung genug bist, Enttäuschungen zu verkraften«, stellte sie fest. »Ich habe keine Zeit zu verschwenden. Diesen Luxus besitze ich nicht.«
Sie betupfte ihre Lippen, schaute zur Decke und tauchte dann den Löffel in die Suppe. Ich starrte sie an, und in dem Augenblick empfand ich größeres Mitleid für sie als für mich und Mama. Sie nahm diesen Ausdruck in meinen Augen wahr und knallte ihren Löffel hin.
»Wage es ja nicht, mich so anzusehen. Wer glaubst du zu sein, dass du mich bemitleidest? Ich brauche niemandes Mitleid, vielen Dank.«
»Entschuldigung«, sagte ich und wandte rasch den Blick ab. »Es war nicht böse gemeint.«
»Jetzt hast du mir den Appetit verdorben«, sagte sie. »Nicht, dass dies hier nach irgendetwas schmecken würde.«
»Es tut mir Leid«, stöhnte ich.Tränen brannten mir in den Augen.
»Und hör auch auf mit diesem Selbstmitleid. Das ist ebenso ärgerlich.«
»Also, was wollen Sie denn dann von mir?«, jammerte ich. Merilyn war gerade durch die Küchentür hereingekommen. Abrupt blieb sie stehen und zog sich schnell wieder zurück.
»Was ich will?« Sie lachte in sich hinein. »Was ich will? Ich will meine Jugend zurück und die Chance, die Fehler zu vermeiden, die ich in Liebe und Ehe begangen habe. Das will ich«, verkündete sie. »Gibt es irgendeine Möglichkeit, meinen Wunsch zu erfüllen? Nun? Gibt es die?«
»Nein«, gab ich zu.
»Genau, nein. Also sage ich dir, was ich will. Ich will die Kraft haben, es zu ertragen und
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