Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
kam aus dem Schlafzimmer, als ich gerade den Treppenabsatz erreichte. Sie hatte ihr Gepäck dabei.
»Diese Frau ist unmöglich«, sagte sie.
»Was ist los?«
»Sie hat heute Morgen das Hausmädchen entlassen und streitet sich seitdem wegen allem mit mir. Ich wurde nicht als Köchin und Hausmädchen engagiert. Darüber habe ich auch ihre Tochter informiert. Ich habe mir ein Taxi gerufen.«
Sie marschierte an mir vorbei, die Treppe hinunter.
»Aber …«
Sie drehte sich nicht mehr um. Ich warf meine Bücher in mein Zimmer und lief zu Großmutter Hudsons Schlafzimmer.
»Wo bist du gewesen?«, wollte sie wissen.
»Ich habe nur … Jake hat mir sein Pferd gezeigt«, sagte ich.
»Dieses Pferd? Was für eine lächerliche Investition. Männer können so närrisch sein mit ihrem Geld, investieren in Träume.«
»Was ist mit Merilyn passiert?«
»Passiert ist Folgendes: Sie hinterließ die Badewanne schmutzig, verbrannte meinen Toast und brachte mir eine Tasse Kaffee, mit dem man einen Traktor hätte schmieren können. Als ich sie auf all diese Fehler aufmerksam machte, kündigte sie. Ich teilte ihr mit, dass sie ihre Aufgabe nicht richtig erfüllt hätte, deshalb könnte sie nicht kündigen. Sie könnte nur gehen, und das tat sie.
Und was die Krankenschwester betrifft …«
»Aber Großmutter, du kannst doch jetzt nicht alleine hier bleiben.«
»Natürlich kann ich das. Das habe ich doch früher auch.« Sie machte eine Pause. »Nach allem, was du mir erzählt hast, kannst du vermutlich mindestens genauso gut ein Abendessen zubereiten.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Was sagt Victoria denn dazu?«
»Sie ist entzückt. Denk doch daran, wie viel Geld ich spare. Natürlich rechnet sie sich jetzt aus, dass sie mehr bekommt, wenn ich einmal nicht mehr bin.« Sie stopfte sich ein Kissen in den Rücken. »Ich wäre zufrieden mit einer Schale Suppe und einem getoasteten Käsesandwich. Aber lass das Brot nicht anbrennen«, fügte sie hinzu.
»In Ordnung, Großmutter«, sagte ich und ging hinunter in die Küche. Es machte mir überhaupt nichts aus, das Abendessen zuzubereiten. Ich tat ein wenig Butter und Essiggürkchen in ihr Sandwich sowie eine Scheibe Tomate und Zwiebel, obwohl sie nicht darum gebeten hatte. So hatte Mama immer ein Käsesandwich für mich zubereitet.
Als Großmutter Hudson einen Bissen nahm, schaute sie überrascht auf. Ich hielt die Luft an. Sie biss erneut zu und schaute dann das Sandwich an.
»Das ist ausgezeichnet«, sagte sie. »Endlich mal etwas aus meiner Küche, das nach etwas schmeckt. Was für eine Überraschung. Jetzt geh und iss auch, und mach dann deine Hausaufgaben. Niemand soll mir die Schuld an seinem eigenen Versagen geben«, erklärte sie.
Ich lachte und kehrte in die Küche zurück. Bevor ich irgendetwas tun konnte, klingelte das Telefon. Es war Corbette.
»Hi«, sagte er. »Tut mir Leid, dass ich so ekelhaft war.«
»Schon gut. Ich verstehe das.«
»Gut. Ich finde wirklich, du und ich sollten uns noch einmal treffen.«
»Ich finde nicht, Corbette. Zumindest eine Weile nicht. Lass uns warten, bis das Stück vorüber ist. Das ist einfach zu aufregend für mich. Außerdem sind mir hier plötzlich neue Pflichten übertragen worden.«
»Oh«, sagte er mit vor Enttäuschung triefender Stimme. »Du bist immer noch sauer auf mich.«
»Nein«, widersprach ich und holte tief Luft. »Ich kann auf der Bühne einfach nicht so gut wie du verbergen, was ich empfinde. Uns bleiben nur noch ein paar Wochen Proben.«
Er schwieg einen Augenblick und fragte dann: »Feierst du mit mir hinterher eine private Premierenparty? Nur du und ich«, sagte er. »Wir stehlen uns zu mir davon, okay?«
Roy flüsterte mir Warnungen ins Ohr, und Beni flüsterte mir ins andere Ohr.
»Okay«, sagte ich. Benis Stimme war lauter, weil sie tief aus meinem Inneren kam, einem Teil von mir, der sich nicht verleugnen ließ, ein Teil, der sagte: »Es ist Zeit zu wissen, was es bedeutet, eine Frau zu sein.«
Ganz gleich wie sehr ich mich für den Rest des Abends bemühte, ich konnte meine Gedanken nicht davon abhalten, immer wieder zu Corbettes Zufluchtsort abzuschweifen. Er wartete dort auf mich, zog mich zu sich. Jedes Mal, wenn ich mir vorstellte, in seinen Armen zu sein, stieß ich den Gedanken beiseite und wandte mich wieder meinen Mathematik- oder Physikhausaufgaben zu.
Ich blieb so lange auf wie möglich, las und lernte, aber nicht, weil ich in der Schule besser werden wollte.
Ich hatte einfach Angst, in
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