Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
ich ebenso naiv und unerfahren war, was Jungen anbelangte, wie Audrey Stempleton?
Warum war das alles so kompliziert? Warum konnten Leute nicht sein, was sie schienen? Ich hatte das Gefühl, in einer Welt voller Spiegel und Lichter zu leben, die alle trügerisch waren.
Audrey wartete auf mich, als ich aus dem Theater trat. Alles anderen waren gegangen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.
Ich erzählte ihr, was Corbette mir gesagt hatte, als ich ihn beschuldigte, mich angelogen zu haben.
»Ich wusste, dass ich Recht hatte«, sagte sie, als ob der Wahrheitsgehalt der Information das Entscheidende sei.
»Das ist doch nicht so wichtig, Audrey. Ich fühlte mich schrecklich, ihn zu zwingen, von seinem Streit mit seinen Eltern und von der Einstellung seiner Mutter zu erzählen. Es war so, als wäre ich in seine Seele eingedrungen. Er konnte es gar nicht abwarten, von mir wegzukommen.«
»Dennoch hat er dich belogen«, beharrte sie. »Außerdem hat er einen gewissen Ruf.«
»Vielleicht. Vielleicht sind es aber auch nur ein Haufen Gerüchte und versteckte Anspielungen, die von eifersüchtigen Mädchen verbreitet werden.«
»Du hast doch gesagt, er hätte dich fast vergewaltigt!«
»Das habe ich nie gesagt. Siehst du, was ich meine? Die Leute hören nicht zu, und dann übertreiben sie. Wer kann schon sagen, ob das nicht schon oft passiert ist?«
»Also, ich finde trotzdem, es wäre närrisch von dir, ihm zu vertrauen«, sagte sie. Sie war so glücklich gewesen, als ich wütend auf Corbette war. Jetzt wirkte sie wieder traurig und deprimiert.
»Ich weiß nicht, wem ich noch trauen soll«, klagte ich, »und ich bin müde.Wir sehen uns morgen.«
Ich ging zum Auto. Jake lehnte dagegen und las eine Zeitschrift der amerikanischen Rentnervereinigung.
»Sie sind doch noch nicht im Ruhestand.Warum lesen Sie das, Jake?«, fragte ich. Er faltete sie zusammen und lachte.
»So viel, wie ich heutzutage arbeite, käme ich durchaus dafür in Frage, Prinzessin. Wie sieht’s aus?«, fragte er und nickte in Richtung Theater. »Soll ich mir eine Karte kaufen?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich.
»Sie sehen heute Nachmittag ein bisschen trübsinnig aus.«
»Ich vermisse so vieles, Jake, meine Mama und meinen Bruder und das miserable Leben, das ich früher geführt habe.«
Er lachte.
»Na los«, sagte er und öffnete die Tür. »Ich fahre Sie heute auf einem anderen Weg nach Hause und zeige Ihnen etwas Besonderes.«
Ich stieg ins Auto und lehnte mich mit geschlossenen Augen zurück. Ich hatte schreckliche Kopfschmerzen, vermutlich verursacht durch die Anspannung. Jake redete über das Wetter, sein Rheuma und die Börse. Er hatte mir erzählt, dass er ein bisschen Geld investiert hatte und sich das besser entwickelte als erwartet.
»Da sind wir«, verkündete er, und ich öffnete die Augen.
Wir befanden uns auf einer mir unbekannten Nebenstraße. Er verlangsamte das Tempo und fuhr neben einer Koppel rechts heran.
»Steigen Sie einen Moment aus«, drängte er mich.
Ich tat, worum er mich gebeten hatte, und wir schauten über den Zaun. Mitten auf der Weide stand eine Stute mit einem wundervoll glänzenden braunen Fohlen. Es hatte eine weiße Blesse und stand dicht neben seiner Mutter, die
mit ihrem Schweif die Fliegen von dem Fohlen wegwedelte. Neugierig schaute es zu uns herüber.
»Es wurde vor einer Woche geboren«, sagte Jake.
»Es ist wunderschön.Wem gehört diese Weide?«
»Oh, einem Freund von mir. Das Fohlen gehört mir«, sagte Jake.
»Was?«
»Ich habe ein bisschen in Pferde investiert. Der Vater des Fohlens war ein erfolgreicher Traber, Fallsburg. Er ist jahrelang in Yonkers, New York, gelaufen und hat die üblichen Rennen mitgemacht. Es ist ein Glücksspiel, aber das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass ich ein schönes Tier besitze, hm?«
»Es ist wunderschön, Jake.«
»Immer wenn ich ein bisschen traurig oder deprimiert bin, fahre ich einfach hierher und beobachte sie eine Weile«, sagte er. Ich nickte lächelnd.
»Danke, Jake. Danke, dass Sie das mit mir geteilt haben.«
Er zuckte die Achseln.
»Besser, ich fahre Sie jetzt nach Hause, bevor wir beide ins Verließ geworfen werden«, sagte er.
Ich lachte und schaute zum Fenster hinaus, während wir davonfuhren. Das Fohlen schaute immer noch zu uns herüber.
Als ich eintrat, herrschte eine unheilvolle Stille im Haus. Ich lauschte auf die Geräusche von Merilyn, die das Abendessen vorbereitete, und ging dann die Treppe hinauf. Mrs Griffin
Weitere Kostenlose Bücher