Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
über Geschäftliches diskutiere.«
»Normalerweise ist das so langweilig,Victoria.Wie kannst
du nur all diese Arbeit mit Gewinn- und Verlustrechnungen, Außenständen, Hauptbüchern und Entschädigungen bei Betriebsunfällen genießen? Das ist doch für Männer geeigneter.«
Victoria richtete sich auf ihrem Platz auf. Sie sah aus, als hätte sie ein Rückgrat wie ein Teleskop, das sich auseinander schob und Hals und Kopf immer höher hob, während sie nach Worten suchte.
»Das ist nicht nur altmodisch, es ist geradezu beleidigend anzunehmen, eine Frau könnte in der heutigen Geschäftswelt nicht erfolgreich sein und es auch genießen, Mutter. Frauen sind den Männern nicht nur ebenbürtig, in vielen Fällen sind sie ihnen sogar überlegen, und das wird den Männern allmählich klar«, stieß Victoria zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Großmutter zuckte die Achseln.
»Ich habe stets die Erfahrung gemacht, dass sich das Herz eines Mannes verschließt und du deinen weiblichen Vorteil einbüßt, wenn du einem Mann das Gefühl gibst, unterlegen zu sein.«
»Diese Erfahrung hast du gemacht, Mutter. Das ist passé.«
»Nicht für mich«, beharrte Großmutter, was Victoria nur noch wütender machte.
»Ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir über die Gleichberechtigung der Geschlechter zu diskutieren, Mutter.«
»Oh, wie ich diese Ausdrucksweise verabscheue. Gleichberechtigung der Geschlechter. Das klingt so … unpersönlich«, sagte Großmutter Hudson und schaute mich an. »Das hört sich an, als wären wir alle Kohlenklumpen, die auf einer Waage liegen.« Ich riskierte ein kleines Lächeln, und sie
wandte sich wieder an Victoria. »Das ist köstlich, Victoria. Bist du sicher, dass du nicht von dem Kalb probieren möchtest?«
»Ja.«
»Wann isst du eigentlich?«, hakte Großmutter Hudson nach. Sie kaute ihr Essen und starrte Victoria an, als befragte sie eine andere Form der menschlichen Spezies.
»Ich esse, wenn ich essen muss«, erwiderte Victoria ungeduldig. »Nicht weil jemand eine bestimmte Zeit zum Abendessen anordnet.«
»Wie prosaisch«, sagte Großmutter Hudson.
Victoria riss die Augen weit auf. Sie holte tief Luft.
»Ich bin nicht hier, um über meine Essgewohnheiten zu diskutieren.«
»Nun, jetzt da wir eine Reihe Gründe kennen, warum du nicht hier bist, warum erzählst du uns nicht einfach, warum du hier bist,Victoria? Ich freue mich natürlich, dich zu sehen, aber du siehst aus, als schwirrte dir ein Schwarm wütender Bienen im Kopf herum.« Großmutter trank einen Schluck Wasser und behielt ihren undefinierbaren Gesichtsausdruck bei.
Victoria legte ihre langen Hände auf den Tisch, die Handflächen nach unten, die Finger leicht gewölbt. Sie begann zu sprechen und schaute dabei auf ihre Hände.
»Heute Morgen rief ich unseren Anwalt in einer geschäftlichen Angelegenheit an, Mutter, und erfuhr, dass du dein Testament geändert hast.«
Großmutter Hudson senkte ihre Gabel, schaute mich an und lehnte sich zurück.
»Er hatte kein Recht, darüber mit dir zu reden.«
»Er hat nicht mit mir darüber geredet. Es kam auf eine
verwickelte Weise heraus, weil ich einigeVeränderungen des Treuhandfonds vorgeschlagen hatte. Glücklicherweise kam es heraus«, fügte sie hinzu und schaute hoch zu Großmutter Hudson. »Weiß Megan von den Änderungen, die du vorgenommen hast?«
»Nein, sie geht das auch nichts an.«
»Kannst du mir erklären, warum eine völlig Fremde in dein Testament aufgenommen wird?«, verlangte Victoria zu wissen und warf mir einen Blick zu.
Ich hörte auf zu kauen, erstickte fast an dem Brocken, den ich im Hals hatte, und trank einen Schluck Wasser. Großmutter Hudson hatte mich in ihrem letzten Willen bedacht?
»Ich habe keine Lust, jetzt darüber zu diskutieren«, sagte Großmutter Hudson. »Das ist kein Thema, das dem Abendessen förderlich ist.«
»Ich glaube, das ist ein Thema, das für nichts förderlich ist. Es ist unerträglich und exzentrisch. Was hat dieses Mädchen«, sagte sie und zeigte nachdrücklich auf mich, »getan, außer dir eine gute Mahlzeit zu kochen, um es zu verdienen, an unserem Familienreichtum teilzuhaben?«
»Ich wünsche es«, sagte Großmutter Hudson. »Es ist meine Entscheidung.«
»Es ist keine vernünftige Entscheidung. Das ist nicht die Handlung einer Frau, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist.«
»Wie kannst du es wagen«, sagte Großmutter Hudson und knallte ihre Gabel hin. Ihr Gesicht war hochrot angelaufen, sie
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