Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
genannten Freundinnen war vorbeigekommen, nicht einmal die Mädchen, die im gleichen Haus wohnten.
Sie knöpfte ihre Bluse auf, griff hinein und zog den Umschlag mit diesen grässlichen Negativen heraus. Als ich sie erkannte, zuckte es mir wie ein Blitz über den Rücken, dass ich mich hinterher ganz taub und kalt fühlte. Ich hatte ein Gefühl, als wäre mir das Blut in den Adern gefroren. Ich versuchte zu schlucken und zu sprechen, aber ich konnte den Umschlag in ihren Händen nur anstarren.
»Mir wurde aufgetragen, dir das zu geben«, fuhr sie fort.
Schließlich brachte ich die Kraft auf zu sprechen.
»Wie hast du sie bekommen?«, flüsterte ich.
»Von einem Jungen. Jemand, den ich noch nie gesehen habe«, fügte sie rasch hinzu, »kam draußen auf der Straße auf mich zu und gab mir den Umschlag. Er sagte, ich sollte ihn dir sofort bringen und dir sagen, dass eine Notiz für dich da drin ist und dass du sie besser sofort lesen solltest.« Sie riss die Augen weit auf, um dem Nachdruck zu verleihen.
Langsam, als streckte ich die Hände ins Feuer, griff ich nach dem Umschlag. Ich starrte Alicia an, um zu sehen, ob sie hineingeschaut hatte, aber das hatte sie, glaube ich, nicht.
An ihrem Gesicht aus Angst und Entsetzen konnte ich ablesen, dass sie froh war, das Kuvert loszuwerden.
Ich öffnete es und nahm den Zettel heraus. Alicia starrte mich an, als ich las, was dort stand.
Dort hieß es einfach: Mach noch einmal bei den Bullen den Mund auf, sag ihnen, wer da war und was deiner Meinung nach passiert ist, und dein Bruder ist als Nächster dran.
Meine Knie zitterten. Ich zog einen Streifen Negative heraus, um mich zu vergewissern, dass es die Fotos von Beni waren.
»Wer hat dir das gegeben?«, verlangte ich zu wissen.
»Ich sagte dir doch, ein Junge, den ich noch nie gesehen habe.«
»Wie sah er aus?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie und wich zur Tür zurück. »Es ging alles so schnell. Er schob es mir einfach zu und sagte mir, dass ich es dir bringen sollte. Ich muss gehen«, sagte sie und griff nach der Klinke.
»Du musst der Polizei sagen, wie er aussah. Du musst einfach, Alicia.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich doch nicht. Ich wollte dir nicht einmal das bringen«, sagte sie. »Aber er sagte mir, wenn ich das nicht täte, würde es mir Leid tun. Stell mir jetzt keine weiteren Fragen.Wenn du der Polizei erzählst, ich hätte dir das gebracht, streite ich es ab. Ich lasse mich nicht umbringen.«
Sie drehte sich um und rannte hinaus.
»Alicia!«, schrie ich.
Sie war zur Wohnungstür hinaus, bevor ich noch einmal nach ihr rufen konnte. Ken schaute von dem Tisch auf, an
dem er mit zwei seiner Saufkumpane Hof hielt. Sie starrten mich alle an.
»Was ist los?«, fragte er.
Ich schaute sie an.
»Nichts«, sagte ich.
»Das Übliche also«, witzelte er und seine Freunde lachten.
Ich ging zurück in mein Zimmer und schloss leise die Tür.Was sollte ich tun? Wenn ich Roy nichts davon erzählte, würde er noch wütender auf mich, falls das überhaupt möglich war.Aber wenn er das hier sah, würde er toben vor Wut. Ich saß auf meinem Bett und hielt den Umschlag in den Händen. Genauso gut könnte ich in Ketten gelegt sein, so hilflos und in der Falle fühlte ich mich. Ich blieb dort fast den ganzen Nachmittag, grübelte und machte mir Sorgen, bis ich ein Klopfen an der Tür hörte und Roy erschien.
»Was ist los?«, fragte er.
Überrascht schaute ich auf.
»Ken sagt, ein Mädchen kam her, und du hättest dich seltsam aufgeführt und hinter ihr hergeschrien. Dass ihm so etwas überhaupt aufgefallen ist, ist schon verblüffend, also muss doch etwas vorgefallen sein.« Sein Blick wanderte rasch auf meine Hände. Mir war nicht klar, dass ich den Umschlag immer noch festhielt. »Wer war das Mädchen, das dich so aus der Fassung gebracht hat?«
»Es war Alicia Hanes«, gestand ich. »Sie sagte, jemand hätte ihr aufgetragen, mir dies zu bringen. Sie wollte mir nicht sagen, wer es war, ihn nicht einmal beschreiben.«
»Was ist das?«
Ich schüttelte den Kopf und fing an zu weinen. Er schloss die Tür hinter sich und kam näher.
Ich zögerte, und dann reichte ich ihm den Umschlag.
Er öffnete ihn und las den Zettel. Dann schaute er sich die Negative an. Sein Gesicht wurde aschfahl.
»Hast du irgendjemandem davon erzählt?«
»Nein, noch nicht. Wir sollten die Polizei benachrichtigen«, sagte ich.
Er grinste blöd.
»Weswegen? Glaubst du, sie finden Jerad, und selbst wenn sie es tun, glaubst du,
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