Die Hüter der Nacht
über die Schule Ihres Sohnes und seinen Job in Israel erfahren.«
»Durch die Schule bekam er überhaupt erst den Job. Sie bereitete alles vor und sorgte für die notwendigen Papiere und Ausweise.«
Ben schüttelte den Kopf und fragte sich, ob er die Frau richtig verstanden hatte. »Die Schule besorgte Jobs? Stellte Computer zur Verfügung? Welche Art palästinensische Schule ist das denn, Umm Falaya?«
»Eine experimentelle Schule für Palästinenser und Israelis«, erklärte die Frau. »Außerhalb Jerusalems bei Abu Gosh. Mein Sohn war der beste Schüler.«
9.
»Verzeihen Sie die Verspätung, Mr. Hessler«, sagte Danielle, als sie Paul Hessler im Wohnzimmer seiner Suite im Tel Aviv Hilton vorgestellt wurde.
Shin Bet, Israels innerer Sicherheitsdienst, hatte Posten in der Hotelhalle und auf dem Gang aufgestellt, für den Fall, dass Hesslers Leben immer noch gefährdet war. Die Ermordung seines Sohnes auf dem Flughafen Ben-Gurion wurde bereits als die schlimmste Sicherheitskatastrophe seit dem Mordanschlag auf Rabin bezeichnet. Beim Shin Bet wollte man offenbar kein weiteres Risiko eingehen. Die Suite, die Hessler zugeteilt worden war, diente zum Besuch hochrangiger Staatsbeamten und anderer Würdenträger. Eigentlich war Paul Hessler weder das eine noch das andere, doch in Wirklichkeit war er viel mehr.
Niemand hatte mehr für sein Heimatland getan, wie Danielle wusste. Ein Teil seines Multi-Milliarden-Dollar-Vermögens, das er mit Computersoftware, mit Forschung auf dem Gebiet der Erdölproduktion und Biotechnik verdient hatte, wurde entweder direkt in verschiedene Projekte der Regierung gesteckt oder in die israelische Industrie reinvestiert. Hessler hatte Fabriken und Anlagen gebaut, um die oft schwächelnde Wirtschaft des Landes zu unterstützen. Er hatte tausenden von Menschen, hauptsächlich Einwanderern, die sonst eine Belastung für den Staat geworden wären, Arbeitsplätze verschafft, obwohl die Betriebskosten in Israel exzessiv und die Gesetze des Landes bezüglich ausländischer Investitionen restriktiv waren.
Danielle kannte die Legende Hessler so gut wie jeder. Wie er aus einem von hunderten Arbeitslagern der Nazis in Polen entkommen war, kurz bevor das Lager geräumt und die verbliebenen Gefangenen getötet wurden. Die Geschichte hatte bis vor relativ kurzer Zeit wenig von diesem schrecklichen Kapitel des Krieges gewusst, und was jetzt bekannt war, machte Hesslers Geschichte vom Überleben nur noch unglaublicher.
Er war von amerikanischen Soldaten gefunden worden, als er Tage nach seinem Entkommen aus dem Lager außerhalb von Lodz durch die Wälder geflüchtet war, wo er den Tod beider Elternteile im Getto hatte miterleben müssen. Seine Füße waren blutig gewesen, voller Blasen und wund bis aufs Fleisch. Er hatte keine Nahrung gehabt und sich nur von etwas Wasser am Leben erhalten, und bei seiner Rettung hatte er nur Unverständliches krächzen können. Doch er hatte zerknitterte, verschmutzte Papiere bei sich gehabt, die ausgereicht hatten, ihn in ein Umsiedlungslager und später auf ein Schiff mit jüdischen Flüchtlingen nach Palästina zu bringen.
Eine Waise, wie so viele andere. Wie jetzt sie, Danielle Barnea.
Allein.
Danielle hatte beschlossen, vor ihrem Treffen mit Hessler ihren Termin beim Arzt einzuhalten, auch wenn das bedeutete, dass sie sich durch den Verkehr der Rushhour kämpfen musste, um Tel Aviv zu erreichen. In dem Moment, als Dr. Barr ins Wartezimmer gekommen war, hatte sie geahnt, dass schlechte Neuigkeiten auf sie zukamen. Sie hatte es nicht einmal so sehr an seiner Miene erkannt, sondern an der Art, wie er die Akten mit den Ergebnissen ihrer Untersuchungen gehalten hatte. Wenn er sie anlächelte – was selten geschah –, wirkte es stets gezwungen.
»Ich möchte mit Ihnen über die Ergebnisse unserer jüngsten Untersuchungen sprechen«, eröffnete er das Gespräch, als beide Platz genommen hatten, und sein gezwungenes Lächeln verschwand jetzt völlig.
»Die Ultraschall-Untersuchungen?«, fragte Danielle und bemühte sich, das Zittern ihrer Stimme zu unterdrücken.
»Die Resultate der vorgeburtlichen Untersuchungen.« Dr. Barr lehnte sich zurück, und sein Stuhl knarrte. »Ich möchte eine weitere Untersuchung machen.«
»Warum?«
»Einige Blutwerte waren nicht überzeugend.«
»Ist das beunruhigend? Muss ich mir Sorgen machen?«
»Sie haben um das volle genetische Spektrum gebeten, Pakad.«
»Ich wollte auf Nummer sicher gehen.«
»Das haben Sie getan,
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