Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hüter der Nacht

Titel: Die Hüter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
Vom Netzwerk:
aufstand und um den Stuhl herumging.
    »Ich werde es nicht tun«, sagte sie zu dem Arzt. »Abtreibung, genetische Beendigung – wie immer Sie es nennen. Ich werde es nicht zulassen.«
    Der Arzt nickte mit echtem Mitgefühl. »Sie würden Ihr Baby großen Schmerzen aussetzen. Selbst wenn es überlebt …«
    »Es besteht also eine Chance?«
    »Eine geringe, ja, aber der Tod würde fast zwangsläufig im ersten Lebensjahr eintreten. Spätestens im zweiten. Die Sterblichkeitsrate bei OTC in dieser Konzentration beträgt hundert Prozent.«
    »Gibt es keine Heilung?«, fragte Ben.
    »Nicht mehr als beim Downsyndrom. Der einzige Vorteil, den wir jetzt haben, ist die Fähigkeit, die genetischen Anfälligkeiten im Voraus zu identifizieren.«
    Danielle umkrampfte die Rückenlehne des Stuhls. »Ein Problem zu identifizieren, das man nicht lösen kann, ist kein Vorteil.«
    »Das glaube ich doch, wenn es dem Kind – und den Eltern – unnötige Leiden erspart. Und Sie müssen wissen, Pakad Barnea, dass es sich nicht auf Ihre Gebärfähigkeit in der Zukunft auswirkt. Die Möglichkeit, dass ein zweiter Fötus die genetischen Merkmale für OTC hat, sind nicht größer als bei dem ersten.«
    »Und wie sind die?«
    »Vierzigtausend zu eins.«
    »Wer ist der Überträger, der Mann oder die Frau?«
    »Die genetische Mutation kommt beim X-Chromosom vor, so sind also Frauen die typischen Überträgerinnen, wobei üblicherweise ihre Söhne erkranken.«
    Ben schluckte, denn er glaubte, einen Kloß in der Kehle zu haben. Er wollte Erleichterung empfinden, weil er wenigstens nicht schuld gewesen war, doch er konnte nur an den Fötus denken – ein Junge. Sein Sohn.
    Er hatte einen Sohn gehabt, doch ein Serienkiller namens Sandmann hatte den Jungen kurz vor seinem siebenten Geburtstag getötet. Nachdem Ben zehn Kugeln in den Körper des wahnsinnigen Mörders gejagt hatte, der Detroit seit Monaten terrorisiert und ganze Familien im Schlaf ermordet hatte, fand er die Leiche seines Sohnes. Ben hatte die wahre Identität des Sandmanns fast in dem Augenblick erkannt, als der Killer sein Haus betreten hatte, war nur einen Moment zu spät dort eingetroffen und hatte seine Frau und die beiden Kinder nicht mehr retten können. Die nächsten Monate waren verschwommen für ihn vergangen, wie unter einem Schleier, der sich nur kurz gelichtet hatte, als er in sein Heimatland Palästina zurückgekehrt war, auf der Suche nach etwas, das er nicht genau hatte erklären können – bis er Danielle kennen lernte.
    Sie hatte ihm den Lebensmut wiedergegeben, nur um ihn Ben wieder wegzunehmen, indem sie ihm das Recht versagt hatte, sein Kind aufzuziehen. Aber das hätte er jetzt akzeptiert; er hätte sich damit abgefunden, hätte das Kind eine Chance gehabt, gesund zur Welt zu kommen.
    »Können Sie nichts mehr tun?«, fragte Danielle niedergeschlagen.
    »Gibt es keine experimentellen Programme oder Methoden, die helfen könnten?«, fügte Ben hinzu.
    Der Arzt seufzte und lehnte sich zurück. »Die OTC-Krankheit ist eine Harnstoffstörung. Der Harnstoffzyklus hängt von fünf Leber-Enzymen ab, die helfen, den Körper von Ammoniak zu befreien, einem giftigen Zerlegungsprodukt von Protein. Es sammelt sich im Blut, gerät ins Gehirn und verursacht Koma, Gehirnschäden und Tod.«
    Danielle sammelte Mut, bevor sie ihre nächste Frage stellte. »Wie lange nach der Geburt?«
    Dr. Barr schien jedes höfliche Taktieren aufzugeben und nannte schonungslos die Fakten. »Neugeborene fallen binnen zweiundsiebzig Stunden nach der Geburt ins Koma. Die meisten erleiden schwere, unheilbare Gehirnschäden. Die Hälfte stirbt im ersten Monat, und die anderen sind oftmals gelähmt oder permanent behindert. Die meisten davon wiederum sterben vor dem fünften Lebensjahr.« Er erkannte, wie hart seine Worte klangen, und bemühte sich, sie etwas abzumildern. »Ich wollte nur, dass Sie das Ausmaß des Problems erkennen, mit dem wir es hier zu tun haben.«
    »Besteht irgendein Risiko für die Mutter?«, fragte Ben.
    »Nein«, erwiderte Dr. Barr. »Keines außer dem Leid, das vom Moment der Geburt an kommt.« Er rückte seinen Schreibtischsessel ein wenig vor. »Die ärztliche Wissenschaft macht Ihnen hier ein großes Geschenk, Pakad Barnea.«
    »Und welches?«
    »Die Möglichkeit, schlimmem Leid zu entgehen und zu verhindern, mit der schrecklichen Qual zu leben, dass es jemals geschieht. Sie können Ihr Leben fortsetzen. Ein anderes Kind bekommen.«
    »Nein«, sagte Danielle und

Weitere Kostenlose Bücher