Die Hüter der Nacht
Shahir Falaya aus einem misslungenen Raubüberfall resultiert.«
David Jacobers Miene nahm einen harten Ausdruck an. Er reckte das Kinn vor und ergriff die Hand seiner Frau. »Was Sie glauben oder nicht … Es reicht nicht, um uns zu überreden, den Leichnam unserer Tochter zu entweihen.«
Danielle beugte sich vor. »In den Polizeiberichten steht, dass Ihre Tochter die Party irgendwann zwischen 22 Uhr und 22 Uhr 15 verlassen hat. Aber die Uhr im Wagen blieb um 23 Uhr 20 stehen, als der Unfall geschah. Die Heimfahrt zu Ihrem Haus von der Wohnung in Tel Aviv, in der die Party stattfand, dauert höchstens fünfzehn Minuten.« Danielle legte eine Pause ein, um ihre Worte einwirken zu lassen. »Bleiben fünfundvierzig Minuten, für die es keine Erklärung gibt.«
Sheri Jacober entzog ihrem Mann die Hand. »Sie meinen, zwischen dem Zeitpunkt, als Beth die Party verließ, und dem Unfall ist etwas mit ihr geschehen?«
»Ja, das meine ich.«
»Das ist lächerlich!«, rief David Jacober und sprang auf, stemmte die Hände in die Hüften und starrte Danielle an. »Warum verfolgen Sie diese Theorie, wenn kein anderer Polizist es tut?«
»Die Polizeibeamten in Tel Aviv haben sich nicht die Mühe gemacht, diesen Punkt zu untersuchen.«
»Sie wollen uns also beweisen, dass die Nationalpolizei viel tüchtiger ist, wie?«
Danielle drehte sich David Jacober zu und blickte ihm in die Augen. »Ich glaube, dass Ihre Tochter ermordet wurde.« Sie blickte zwischen dem Ehepaar hin und her. »Ich weiß, wie schmerzlich das für Sie sein muss. Aber ich bin überzeugt, wenn Sie ein wenig darüber nachdenken, werden Sie Gewissheit haben wollen – so wie ich. Denn wenn ich Recht habe, und ich glaube fest daran, ist es die einzige Möglichkeit, den Mörder vor Gericht zu bringen.«
»Das alles ergibt doch keinen Sinn!«, warf Sheri Jacober ein. »Warum Beth? Warum?«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte Danielle.
23.
Hans Mundt saß auf dem wackligen Stuhl, den er neben sein Bett gestellt hatte. Er hatte ein Zimmer im Petra Hotel beim Eingang zum arabischen Markt in der Altstadt von Jerusalem gemietet. Er hätte sich etwas Besseres leisten können, doch er hatte dieses Zimmer der Anonymität wegen gewählt. Trotzdem wäre es schön gewesen, ein Zimmer mit einem Schreibtisch zu haben; die Enge dieser schäbigen Bude zwang ihn, sein Bett als Ablage zu benutzen, und er hatte seine Briefe und Notizen darauf ausgebreitet. Statt eines Schreibtischs hatte er einen vergammelten Balkon mit Blick auf den Turm von David. Aus einem Tanzklub unten im Gebäude drang die ganze Nacht Musik herauf. In der vergangenen Nacht war das Gedudel so schlimm gewesen, dass Mundt die Balkontür geschlossen und die stickige Hitze ertragen hatte, um Ruhe zu haben.
Mundt hatte seit Jahren die Briefe von Überlebenden des Arbeitslagers der Nazis nördlich von Lodz in Polen gesammelt und versucht, ihnen eine zusammenhängende Geschichte zu entnehmen. Er wusste, dass er der Wahrheit nahe war. Die Notizen der Befragungen und die Antwortschreiben vor ihm enthielten diese Wahrheit. Mundt hatte sie in chronologischer Reihenfolge auf der Bettdecke ausgebreitet, beginnend fast ein Jahr vor Räumung des Lagers Ende 1944 …
Der Junge neigte sich über das Loch. Beinahe erbrach er sich bei dem Gestank, der sich darin gesammelt hatte. Er spürte, wie der Waffenlauf von der Türschwelle her wieder gegen ihn stieß.
»Beeil dich! Es sind noch andere in der Reihe draußen.«
Der Junge würgte wieder, und sein leerer Magen verkrampfte sich. Er versuchte, auf die Füße zu kommen, doch von neuem setzten die Krämpfe ein, und er krümmte sich vornüber.
»Ich sagte, du sollst rauskommen!«
Der Waffenlauf stieß ihm gegen die Rippen; dann traf ihn ein harter Stiefeltritt ins Gesäß. Der Junge krümmte sich zusammen und sah, wie der Schatten des Lagerkommandanten, Hauptsturmführer Günther Weiss, über ihm aufragte.
»Du Abschaum! Du kennst die Regeln. Wenn du nicht arbeitest, stirbst du. Was soll es denn sein?« Ein weiterer, härterer Stoß mit dem Waffenlauf. »Wie willst du's haben?«
Der Junge wollte sich aufrappeln, schaffte es jedoch nicht. Er rang nach Atem, doch Weiss drückte ihm die Waffenmündung noch fester in die Rippen, sodass er kaum noch Luft bekam.
»Mundt!«, brüllte Hauptsturmführer Weiss.
Sekunden später schlug ein anderer Soldat, den der Junge nicht kannte, die Hacken zusammen und näherte sich. Er war zwar nicht älter
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