Die Hüter der Nacht
tauschten einen Blick. »Wird er diese Botschaft auch wirklich bekommen?«, fragte einer der beiden.
»Ich kenne einen hohen Beamten, der dafür sorgen wird.«
Die Fatah-Repräsentanten nickten und nannten Ben ihre Namen, bevor sie gingen. Ben hatte kaum sein Notizbuch weggesteckt, als ein Mann zu ihm geeilt kam, den er für Zeina Ashawis Vater hielt.
»Was geht hier vor? Was will die Polizei mit meiner Tochter?«
Ben hob eine Hand, um ihn zu beruhigen. »Die beiden Männer waren keine echten Polizisten, Abdul Ashawi.«
Die Miene des Mannes spiegelte Unsicherheit wider. »Sie waren keine Polizisten? Aber wer …«
»Ich muss drinnen mit Ihrer Tochter sprechen«, unterbrach Ben. »Dann wird Ihnen alles klar.«
Die heiße Sonne brannte auf Danielles Haut und briet die Miniaturstadt zu ihren Füßen, während sie sich an alles zu erinnern versuchte, was sie aus dem Autopsiebericht über den alten Mann wusste, der Paul Hesslers Sohn erschossen hatte.
»Er trug keine Papiere bei sich, nicht einmal Geld.«
»Weil er wusste, dass er sterben würde«, sagte Bain. »Es war ein Selbstmordattentat.«
»Der Killer hatte Magenkrebs. Er hatte ohnehin nicht mehr lange zu leben. Er war Amerikaner, da war der Pathologe sicher. Seine einzigen auffallenden körperlichen Merkmale waren ein Glasauge und eine ungewöhnliche Tätowierung.«
»Was für eine Tätowierung?«
»Eine Art Wurm, der ein Messer hielt, von dessen Klinge Blut tropfte. Und über der Tätowierung stand ein Name: NIGHT-CRAWLERS.«
»Ein Erdwurm, der nachts auf Nahrungssuche geht.«
»Ich wusste nicht, dass sie Wurm-Experte sind, Captain.«
»Das bin ich nicht. Aber der Begriff ›Nightcrawlers‹ hat auch andere Bedeutungen.«
»Zum Beispiel?«
»Das möchte ich erst sagen, wenn ich meiner Sache sicher bin. Der Tote war um die siebzig?«
»Ja, vermutlich ein amerikanischer Veteran des Zweiten Weltkriegs oder des Koreakriegs. Beides ist möglich, doch nach dem Alter einiger Narben war sich der Pathologe fast sicher, dass der Mann im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat.«
Danielle versuchte Asher Bains Reaktion einzuschätzen, doch seine Miene blieb stoisch, wie versteinert. Sie wollte gerade nachsetzen und weitere Fragen stellen, als ihr Handy klingelte.
»Hallo?«
»Pakad Barnea?« Eine Frauenstimme.
»Ja. Wer spricht da?«
»Layla Saltzman, Michaels Mutter.« Die Worte wurden von angestrengten Atemzügen unterbrochen.
»Ja, Mrs. Saltzman?«
»Ich möchte Sie nicht stören. Es ist nur, dass ich … ich habe etwas gefunden … in Michaels Zimmer, und ich … nun, ich weiß nicht, wen ich sonst anrufen könnte.«
»Was haben Sie gefunden?«
»Sie müssen zu mir kommen, Pakad. Vertrauen Sie mir, Sie müssen es sehen.«
36.
»Meine Tochter ist jetzt bereit, mit Ihnen zu sprechen, Inspector«, sagte Abdul Ashawi und führte Zeina ins Zimmer, die sich von dem Schreck erholt hatte. »Sie wird Ihre Fragen beantworten.«
Zeina sah dünn und blass aus. Ihr dunkelbraunes Haar fiel offen über ihre Schultern – eine westliche Mode, die sie als Palästinenserin vielleicht auf der Gemeinschaftsschule angenommen hatte. Der Blick ihrer Augen, die den gleichen dunkelbraunen Farbton besaßen, war nervös.
»Kommen Sie hier herüber, Inspector«, forderte Abdul Ashawi Ben auf.
Ben hatte beschlossen, das Mädchen nicht mit Fragen zu bestürmen. Stattdessen war er darauf aus, die Familie besser kennen zu lernen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Diese Hütte im Flüchtlingslager gehörte Abduls Bruder. Sie hatte nur drei kleine, dunkle Zimmer, was schon für die beiden Erwachsenen und die drei Kinder zu wenig war, die normalerweise hier wohnten, ganz zu schweigen von den fünf Gästen, die sich dort nun schon seit einer Woche versteckten. Die Frauen gingen in die winzige Küche, um Tee aufzubrühen und Gebäck zu holen. Sie waren erleichtert, weil Zeina nicht festgenommen wurde. Ben jedoch war beunruhigt. Er wusste nicht, wie er sich schützen konnte, falls weitere Männer erschienen, die von den Auftraggebern der falschen Polizisten geschickt wurden, um das Mädchen zu holen.
Eine halbe Stunde später war Zeina endlich bereit, ihre Geschichte zu erzählen, während sie den warmen Tee aus einem Pappbecher nippte, weil ihrer Tante die wenigen Steinguttassen und Gläser der Familie ausgegangen waren. Ben fiel auf, dass keine der Tassen und Unterteller zusammenpassten.
»Sind Sie einverstanden, dass ich dabei bin?«, fragte Abdul Ashawi.
»Ich bestehe sogar
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