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Die Hüter der Nacht

Titel: Die Hüter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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Verwandte, nicht wahr?«
    Danielle zücke ihren Ausweis der Nationalpolizei und reichte ihn über das Pult. »Ich bin in einer dringenden Angelegenheit hier.«
    Die Frau am Empfang furchte die Stirn, als sie Danielles Ausweis betrachtete. »Wird bei Ihnen gegen Herrn Weiss ermittelt?«
    »Nicht direkt, nein.«
    »Ich frage deshalb, weil es unsere Aufgabe ist, unsere Patienten zu schützen. Wir wollen nicht, dass sie belästigt werden oder in ihrer Vergangenheit herumgeschnüffelt wird.«
    »Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass es um die Vergangenheit geht?«
    »Bei Männern wie Günther Weiss dreht es sich immer um die Vergangenheit«, sagte die Empfangsdame.
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, lassen Sie mich bitte mit ihm sprechen. Ich habe einen sehr weiten Weg hinter mir.«
    »Es macht mir überhaupt nichts aus.« Die Empfangsdame schob ein Klemmbrett mit zwei Papierseiten über das Pult zu Danielle. »Füllen Sie nur das Formular aus, damit es von unserem Justiziar begutachtet werden kann. Und notieren Sie Ihre Kontaktnummer in Deutschland, damit wir Sie anrufen können, falls er den Besuch genehmigt.«
    Danielle drehte das Klemmbrett herum und schob es über das Anmeldepult zurück. »Ich bin als Repräsentantin der israelischen Regierung hier«, bluffte sie. »Wenn Sie wollen, kann ich mit einem Angehörigen unserer Botschaft wiederkommen, zusammen mit meiner Kontaktperson des Bundeskriminalamts.« Sie neigte sich vor. »Dann können wir bei der Gelegenheit noch einige weitere Ihrer Patienten überprüfen.«
    Die Empfangsdame hängte das Klemmbrett auf einen Haken zurück und nahm stattdessen ein Besucherschild, doch das Unbehagen war ihr weiterhin anzusehen. »Sie werden ohnehin nichts aus Günther Weiss herausbekommen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie werden schon sehen.«
    Das Besucherschild an der Jacke, fuhr Danielle mit dem Aufzug in den dritten Stock und betrat einen großen, offenen Bereich. Sie sah Bewohner des Pflegeheims, die in Rollstühlen saßen oder mit Messgeräten an den Seiten herumschlenderten. Einige lehnten unbeholfen an einer Wand. Die Atmosphäre war ruhig und gedämpft, abgesehen von einem gelegentlichen Schrei, der von unten aus der Halle heraufdrang. Die Luft war abgestanden und muffig, und der durchdringende Geruch von Lysol haftete an den Möbeln und Wänden.
    Eine andere Empfangsdame verwies Danielle an einen kleinen Raum an der Seite. Sie näherte sich den Geräuschen deutscher Stimmen, die aus einem Fernseher drangen, der in einem fensterlosen Zimmer hing, in dem drei Reihen miteinander verbundener Stühle standen. Ein einzelner Mann saß in einem Rollstuhl und schaute zu dem an der Wand befestigten Fernseher hinauf. Eine karierte Decke lag über seinen Beinen. Er lächelte zahnlos, während er sich die morgendlichen Zeichentrickfilme anschaute, zu kurzatmig, um zu lachen. Sein Mund stand offen, und er zwinkerte nicht mit den Augen.
    »Herr Weiss?«
    Keine Reaktion.
    »Herr Weiss?«
    Er drehte Danielle kurz den Kopf zu; dann wandte er den Blick wieder zum Fernseher. Danielle ging zum Rollstuhl und trat vor ihn hin, sodass sie zwischen Weiss und dem Fernseher stand. Weiss wirkte aufgeregt und wischte mit der Hand durch die Luft, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. Schließlich gab er auf und fuhr mit dem Rollstuhl ein Stück zurück, damit er wieder freie Sicht auf den Zeichentrickfilm hatte, den Danielle jetzt als alte amerikanische Serie erkannte, die Deutsch synchronisiert war.
    »Ich muss mit Ihnen sprechen, Herr Weiss. Über ihre Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg«, sagte Danielle und hoffte, dass er sie verstand. »Ich habe ein paar Fragen.«
    Ein Werbespot unterbrach den Trickfilm, und der alte Mann blinzelte. Er schaute Danielle an, als sähe er sie zum ersten Mal.
    »Sie sind nicht meine neue Schwester.«
    »Nein, ich bin von der Polizei.«
    »Polizei? Ich mag keine Polizei.«
    Danielle warf verstohlen einen Blick zum Fernseher, überzeugt davon, dass der alte Mann nur in der Werbepause ansprechbar bleiben würde. »Ich möchte mit Ihnen über das Arbeitslager bei Lodz in Polen reden.«
    »Ich war nicht dort. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich war Schullehrer.«
    »Sie haben für Ihre Verbrechen zwanzig Jahre im Gefängnis gesessen. Das ist aktenkundig.«
    »Aber ich wäre ein guter Lehrer gewesen.«
    »Und wie waren Sie als Hauptsturmführer des Arbeitslagers?«
    Weiss blickte wieder zum Fernsehschirm und sah, dass ein weiterer Werbespot begann. Die Luft

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