Die Hüter der Nacht
schien aus seinem dünnen Gesicht zu weichen wie aus einem angestochenen Ballon.
»Das ist lange her. Zu lange.«
Danielle blickte den gebrechlichen alten Mann im Rollstuhl an und erkannte plötzlich, dass sie keine Ahnung hatte, was sie ihn fragen sollte. Captain Asher Bain hatte vor seinem Tod nur gesagt, Weiss sei der Schlüssel. Schlüssel wozu? Was sonst hatte Bain über diesen Fall und Danielles Vater herausgefunden?
Auf dem Bildschirm des Fernsehers endete eine Waschmittelreklame.
Günther Weiss blickte plötzlich zu Danielle auf. »Sie sind gekommen, um mich ebenfalls nach ihm zu befragen.«
»Nach wem?«
»Karl Mundt. Der Bastard. Hielt sich für viel besser als wir, zu gut für den Dienst im Arbeitslager. Ich habe ihm nie getraut. Ich hätte es wissen sollen, hätte früher erkennen sollen, was er wirklich im Schilde führte.«
»Und was war das?«
In diesem Augenblick wurde der Zeichentrickfilm fortgesetzt, und Günther Weiss verfiel wieder in seine verzückte Trance und blickte gebannt auf den Bildschirm.
53.
Als Ben Kamal an der Türschwelle des Büros von Jane Wexler verharrte, Direktorin der palästinensisch-israelischen Gemeinschaftsschule bei Abu Gosh, war Jane mit einem Stapel von Schülerakten beschäftigt.
»Was tun Sie hier, Inspector?«, fragte sie, sichtlich ärgerlich über seinen unangekündigten Besuch.
»Ich hoffe, Sie können mir helfen.« Ben hatte nicht erwartet, von den israelischen Soldaten draußen hereingelassen zu werden. Sie hatten ihn jedoch wieder erkannt und ihn widerstrebend passieren lassen, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass er unbewaffnet war.
Jane Wexler blickte sich um, als rechnete sie damit, Danielle Barnea hinter Ben auftauchen zu sehen. »Sie haben keinerlei Befugnis in Israel. Ich sollte nicht einmal mit Ihnen reden.«
»Auch wenn es in Ihrem eigenen Interesse und zum Besten der Schule ist?«
»Kommen Sie zur Sache, bitte.«
»Wollen Sie mir helfen, herauszufinden, wer Ihre Schüler ermordet hat, Miss Wexler?«
Jane Wexler schob den Aktenstapel beiseite. »Fahren Sie fort.«
Ben nickte. »Ich habe Zeina Ashawi gefunden. Sie lebt und steht unter dem Schutz der Palästinensischen Autonomiebehörde.«
»Gott sei Dank.«
Ben schloss die Tür des Büros der Direktorin hinter sich. »Zeina hat mir etwas erzählt, das Sie bestimmt sehr beunruhigend finden, Miss Wexler. Sie erzählte mir, die ermordeten Schüler hatten mit einer Art Erpresserbande zu tun.«
»Erpresserbande?«, fragte Jane Wexler ungläubig.
Ben nickte. »Shahir Falaya nutzte seinen Job als Techniker einer Wartungsfirma, um brisante Informationen von bedeutenden Firmen zu stehlen. Ich vermute, einer oder mehreren dieser Firmen wurde dann angedroht, die gestohlenen Informationen der Öffentlichkeit bekannt zu machen.«
Auf Jane Wexlers Gesicht spiegelten sich plötzliches Begreifen und Furcht. »Dann wurden die Schüler von jemandem umgebracht, den sie erpresst haben? Das wollen Sie doch sagen, oder?«
»Ja. Ich muss herausfinden, wer – welche Firma es gewesen sein kann.«
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Inspector, dass ich nicht gewusst habe, was die Schüler getrieben haben. Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen.«
»Doch, das können Sie«, sagte Ben und blickte sie scharf an. »Denn Sie waren in den Plan verwickelt.«
54.
Tess Sanderson und Paul Hessler betraten das Hessler Institute kurz nach Beginn der Mittagspause. Sie hofften, dass ihr Besuch kein Aufsehen erregte, doch das Sicherheits- und Laborpersonal, das noch im Hause war, glaubte seinen Augen nicht trauen zu können. Paul Hessler war sehr selten in dem Institut gewesen, das seinen Namen trug, besonders in der letzten Zeit.
»Sie gehen zu schnell«, sagte Paul, dessen Hüften schmerzten.
»Ich bin nervös, Sir.«
»Ich habe Sie gebeten, mich Paul zu nennen. Außerdem gibt es keinen Grund, nervös zu sein.«
Tess Sanderson schob am Zugang zum gesicherten Laborbereich ihre Karte in den Schlitz der Überwachungsanlage und tippte am nächsten Kontrollpunkt bei der Entwicklungsabteilung die Kombination ein, um Zugang zu bekommen.
»Waren diese Kontrollen Ihre Idee, Tess?«, fragte Paul beeindruckt.
»Die Ihres Sohnes.«
Paul verspürte einen altbekannten Druck in der Magengegend, als er durch die Stahltür in das Vorzimmer trat.
»Das ist das Vermächtnis meines Sohnes«, sagte er ernst. »Alles, was mir von ihm geblieben ist.«
Tess Sanderson wandte sich ihm zu und nickte verständnisvoll, bevor sie
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