Die Hüter der Nacht
gewesen war und jetzt von den Arbeitern mit Ratten geteilt wurde. Des Nachts, wenn er nicht schlafen konnte, hörte Paul die Ratten herumhuschen. Sie machten ihm keine Angst mehr. Früher hatte er sich davor gefürchtet, jetzt nicht mehr.
Er wickelte die dünne Decke fester um seine Schultern. Sie roch nach Moder und Schimmel und war aus Kisten ausgepackt worden, die draußen im Regen gestanden hatten, während die Insassen gearbeitet hatten. Er hatte eine Matratze und ein Strohkissen. Die gesamte Habe seines Lebens.
Paul Hessler wusste, dass man kein Essen bekam, wenn man nicht arbeitete. Das Schmuggeln von Essen zu einem Kranken oder Arbeitsunfähigen wurde mit dem Tode bestraft – und der Hauptsturmführer, Günther Weiss, liebte es, Exempel zu statuieren. Paul wusste, dass bald die Wächter kommen würden, um sein Leiden zu beenden, weil er jetzt nicht mehr von Nutzen war. Sie würden ihn nach draußen bringen, wo die anderen Insassen sehen konnten, wie die Waffe gegen seinen Kopf gepresst wurde und beim Todesschuss sein Gehirn auf den Boden spritzte. Er war nicht sicher, ob ihm das etwas ausmachen würde. Vielleicht hätte er sich auf diesen Moment freuen sollen, wenn er sich zu seinen Eltern gesellte, die im Getto von Lodz abgeschlachtet worden waren, bevor man ihn hierher gebracht hatte. Wenn er nicht durch eine Kugel ums Leben kam, dann höchstwahrscheinlich durch Typhus oder die Ruhr, die ihn im Augenblick peinigte.
Nein! Er musste für seine Eltern überleben. Sie hatten alles geopfert, letztendlich ihr eigenes Leben, um ihn so lange wie möglich am Leben zu halten. Wenn er aufgab, wäre ihr Tod sinnlos gewesen.
Die Tür im Obergeschoss knarrte, als sie geöffnet wurde, und Schritte näherten sich. Jemand mit schweren Stiefeln kam die Treppe herunter.
Paul Hessler schaute nicht hin, bewegte sich nicht. Er war froh, dass es bald zu Ende sein würde. Die Schritte pochten jetzt näher bei ihm, und er begann lautlos zu beten.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter und drehte ihn sanft herum.
»Ich bringe dir ein bisschen Brot«, sagte Karl Mundt, der junge Wächter, der ihm schon einmal das Leben gerettet hatte. »Und ein paar Pillen.« Er setzte sich neben Hessler auf die Pritsche und gab ihm sechs Tabletten. »Nimm zwei jetzt und die restlichen später. Du wirst sie trocken schlucken müssen. Ich konnte nichts zu trinken hierher schmuggeln. Ich werde es später noch einmal versuchen.«
Paul Hessler schaffte es mit großer Mühe, die ersten beiden Tabletten hinunterzuwürgen und dann den Kanten Brot entgegenzunehmen, den Karl Mundt unter seinem Uniformrock hervorzog.
»Danke«, sagte Hessler und klammerte sich an den Ärmel des jungen Wächters. »Danke.«
Mundt riss sich von ihm los, als wäre er angewidert von der Berührung. »Bei der Suppenausgabe sehe ich dich immer um einen der ersten Plätze kämpfen.«
»Natürlich.«
»Von jetzt an wartest du, bis das Ende der Schlange bedient wird. Die Kartoffeln und kräftigen Stücke setzen sich unten in den Kesseln ab. Warte bis zum Ende, und du wirst mehr als nur Brühe in deinen Napf bekommen. Hast du verstanden?«
Hessler nickte dankbar und biss ein Stück Brot ab. »Ich werde eines Tages ein reicher Mann sein«, sagte er kauend, während sein Magen das erste feste Essen seit einer Woche bekam. »Und ich werde Ihnen alles zurückzahlen. Sie werden es nicht bereuen.«
»Wie kommst du auf den Gedanken, dass ich nicht selbst reich bin?«, fragte Mundt.
Paul aß weiter.
»Ich nehme an, ich könnte dann immer zu dir kommen und einen Job kriegen«, fuhr der Wächter fort.
»Nur wenn ich lebe.«
»Oh, du wirst leben«, versicherte ihm Karl Mundt. »Dafür werde ich sorgen.«
Hans Mundt hatte Dutzende Überlebende aus dem Arbeitslager befragt, in dem sein Vater geschuftet hatte, und alle hatten über die merkwürdige Freundschaft berichtet, die sich zwischen Karl Mundt und Paul Hessler entwickelt hatte, und wie sein Vater den Jungen gesund gepflegt und während der restlichen Zeit im Arbeitslager am Leben erhielt. Die Überlebenden hatten Unterhaltungen mitbekommen, bei denen die beiden jungen Männer ihr unterschiedliches Leben verglichen hatten. Karl Mundt, hatten sie gesagt, habe behauptet, zum Militärdienst gezwungen worden zu sein; man habe ihn direkt aus der Schule geholt, die er liebte, und fort von der Frau, die er gerade erst geheiratet hatte.
Karl Mundt erfuhr erst, dass er Vater wurde, als ihn kurz nach seiner Ankunft im Lager ein
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